Brüder der Drachen
du nicht glaubst, dass er irgendetwas für uns tun kann?«
»Sad Eldon gehört einem geheimen Bund an«, sagte Grimstan nach einer Weile, machte dann aber wieder eine Pause und schien sich die nächsten Worte erst zurechtlegen zu müssen. »Auch ich bin ein Mitglied dieser Bruderschaft; wir nennen uns die Bewahrer. Unser Ziel ist es, das Wissen der Menschheit zu erhalten, auch wenn die Armeen Thaur-Angoths einmal diese Welt erobern sollten. Die meisten Angehörigen unseres Bundes leben auf dem Südkontinent – denn dort hat Firion einst die Menschen erschaffen, und dort ist Angoths Einfluss am geringsten. Dort kann man auch immer noch alte Artefakte finden, aus der Zeit, bevor der Kontinent verwüstet wurde. In dieser Katastrophe wurde viel Wissen vernichtet, aber ein Teil davon kann vielleicht wiedergefunden werden.«
»Und wozu soll das gut sein?« Eine zunehmende Erregung ergriff Danira. »Was haben die Menschen hier davon, dass es im Süden ein paar Leute gibt, die in alten Gemäuern herumwühlen?«
»Das wird sich zeigen«, erwiderte Grimstan. »Auch unter den Bewahrern hat es immer Einzelne gegeben, die sich nicht mit der Bewahrung des Wissens zufriedengeben wollten. Manche forderten, die Alten aktiv zu bekämpfen – doch sie alle scheiterten. Die jedoch, die das Wissen suchten und behüteten, waren erfolgreicher. Wir konnten einige der Geheimnisse der Runenschmiede entschlüsseln – und vielleicht wird es uns dadurch gelingen, die Thrya-Rune neu zu schmieden. Wenn wir es schaffen, von jeder der fünf Runen ein Exemplar zu finden, dann hätten wir die Macht, den Alten zu trotzen – zumindest für eine Weile.«
»Du weißt so viel über all diese Dinge«, sagte Timon. »Bist du ein Zauberer?«
»Ich weiß viel über die Magie, und ich besitze manche Kräfte, auch wenn ich kein Zauberer bin, so wie Tan-Thalion. Ich ähnele euch beiden – auch in euch wohnt eine starke Macht, eine göttliche Energie. Wenn man diese in bestimmte Bahnen lenken würde, könntet ihr zu Zauberern werden. Es gibt aber noch andere Aspekte der göttlichen Kraft als jene, die an den Magiergilden gelehrt werden.«
»Du hast einmal zu mir gesagt, dass mehr als eine Kraft in mir wirkt«, sagte Timon. »Was hast du damit gemeint?«
»Ich bin mir nicht sicher – deine Ausstrahlung ist ungewöhnlich.« Trotz des dämmrigen Lichts musterte Grimstan den Jungen aufmerksam. »Wenn du selbst nicht weißt, was es ist – nun, vielleicht wirst du es bald herausfinden.«
»Aber woher weißt du soviel über die Kräfte, die in uns sind?«, fragte Timon.
»Ich weiß nicht viel, insbesondere nicht über dich, und einiges ahne ich nur. Man könnte sagen, dass ich ein gutes Gespür für magische Kräfte habe. Ist dieses Gefühl denn nicht auch in euch? Schaut euch gegenseitig an – spürt ihr nicht die Kräfte, die in euch wohnen? Und spürt ihr nicht die Ausstrahlung, die von mir ausgeht?«
Scheu sahen die beiden Kinder einander für eine Weile an, bis Danira sich wieder zu Grimstan umwandte. »Ja, ich spüre etwas«, sagte sie mit einem kurzen Seitenblick zu Timon. »Aber wenn ich Timon anschaue, fühle ich anders als bei dir.«
»Das wundert mich nicht«, erwiderte der alte Mann. »Vielleicht spürt ihr nicht nur Firions Funken, der in euch beiden brennt, sondern ein anderes Feuer, das noch älter ist als die Menschheit.«
Danira und Timon schwiegen verwirrt oder verlegen, und Grimstan nutzte die entstandene Pause, um sich in seine Decke zu rollen.
»Schlaft jetzt«, sagte er. »Wir werden morgen früh aufbrechen.«
*
Es war Nacht, und Eril-Firion leuchtete hell am aufgeklarten Himmel, als Loridan aus einem unruhigen Schlaf erwachte. Verwirrt und alarmiert sah er um sich, denn er war sich nicht sicher, was ihn geweckt hatte. Schon seit zwei Tagen fühlte er eine ständige Bedrohung um sich herum, die weit über das hinausging, was er von seinen früheren Besuchen im Drachenland kannte. Zwei Tage – dies war die Zeit, die vergangen war, seit sie den merkwürdigen Leichnam entdeckt hatten. Auch Drachen hatten sie während der letzten Tage gesichtet, die Kreaturen jedoch, die Loridans Träume heimsuchten, waren menschenähnlich und trugen tierische Gesichtszüge.
Der Ritter wickelte sich aus seiner Decke und richtete sich mühsam von dem Sattel auf, der ihm im Schlaf als Rückenstütze diente und an dem auch sein Schwertgehänge befestigt war. Eril-Firion stand hoch am Himmel, hatte aber seinen höchsten Punkt bereits überschritten.
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