Brüder der Drachen
Deryn erkannte den hochgewachsenen schwarzhaarigen Mann – er war einer von Angbolds Günstlingen, der oft in der Nähe des Garnisonsoffiziers anzutreffen war.
»Seid gegrüßt, Deryn«, sagte der Soldat. »Der König hatte Euch schon gestern Abend zurückerwartet. Wurdet Ihr aufgehalten – oder habt Ihr noch die Familie Eures Freundes Loridan besucht?«
Es erfüllte Deryn mit Staunen, wie gut dieser Soldat über seinen Auftrag und seine Freundschaft zu Loridan informiert war. Er selbst konnte sich nur mit Mühe auf den Namen des Unteroffiziers besinnen, mit dem er nie engen Kontakt hatte. Unwillkürlich erwachte Misstrauen in ihm, und Eleas Worte kamen in sein Bewusstsein: Hüte dich vor Angbold!
»Ja, Hengis, ich wurde aufgehalten«, antwortete er. »Die Verhandlungen haben länger gedauert als geplant. Leider kann ich Euch keine Einzelheiten berichten, denn es handelt sich um vertrauliche Reichsgeschäfte. Aber darf ich fragen, was Euch hierherführt?« Bewusst überging Deryn die unverblümte Frage des Soldaten über Loridans Familie.
»Eine Routinepatrouille«, erwiderte Hengis mit einem Lächeln. »Ihr wisst ja, der König will über alle Vorgänge in seinem Reich genauestens informiert sein.«
Mit einem wortlosen Nicken verabschiedete sich Deryn von den Soldaten, die ihren Weg nach Ber-Eliath fortsetzten. Noch lange blickte er ihnen nach und sah, wie sie schon vor Erreichen des Ortes auf die kleine Abzweigung nach Westen abbogen, die zu Loridans Gehöft führte. Deryn fragte sich, wie viel der König wirklich über die Vorgänge in seinem Reich wusste.
*
Erst nach langen Diskussionen hatte Dorban sein Einverständnis zu Timons Teilnahme an der Reise gegeben, und Danira wunderte sich immer noch darüber, wie Grimstan diesen Sinneswandel bewirkt hatte. Fast hatte sie geglaubt, eine zauberische Macht in der Stimme des alten Mannes wahrzunehmen. Auch Gorm war bei ihnen und wich selten von Timons Seite, denn Dorban hatte geglaubt, dass der große Arath durchaus in der Lage sein würde, den Jungen vor Räubern und anderen Gefahren zu beschützen. Zwei Tage lang waren sie seit ihrem Aufbruch in Ber-Sedion nun nach Westen gereist. Am ersten Tag waren sie nicht sehr weit gekommen, denn Danira hatte sich immer noch schwach gefühlt, obwohl sie zuvor einen ganzen Tag und eine Nacht im Bett verbracht hatte. Auch der zweite Tag war ereignislos verlaufen – der Westen des Reiches war nur dünn besiedelt, und niemand beachtete die ärmlich aussehenden Reisenden. Nur selten hatte die Sonne sich gezeigt, und gegen Abend türmten sich hohe Wolkenberge über den westlichen Hügeln, trotzdem war es ein warmer Tag gewesen. Als die Dämmerung langsam hereinbrach und erste Blitze die Hügel krönten, beschloss Grimstan, das Lager aufzuschlagen. Er hatte Danira und Timon bisher nicht viel über ihr Ziel erzählt, aber jetzt war klar, dass sie es auch an diesem Tag nicht mehr erreichen würden. Sie fanden eine geschützte Mulde am Saum des Waldes, an dem ihr Weg sie schon seit einiger Zeit entlanggeführt hatte. Aus Zweigen und Zeltplanen bauten sie sich einen Unterstand, um sich vor dem drohenden Gewitter zu schützen. Wenig später begann der Regen, und sie kauerten sich in ihrem Unterschlupf zusammen.
Verwundert bemerkte Danira, dass Grimstan trotz der beengten Verhältnisse darauf bedacht schien, ihr und Timon nicht zu nahe zu kommen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, den alten Mann jemals richtig berührt zu haben, allerdings fühlte sie auch kein Bedürfnis, dies zu tun. Trotz der Freundschaft, die sie für ihn empfand, war Grimstan ihr immer noch unheimlich. Gorm schien jedoch keine Vorbehalte gegen den alten Mann zu hegen, und als das Gewitter begann, drängte er sich eng an ihn. Danira überlegte, wie sie es wohl anstellen könnte, Grimstan ein paar Informationen über ihr Ziel zu entlocken, doch Timon kam ihr zuvor.
»Wer ist der Mann, den wir besuchen wollen?«, fragte er.
»Ein alter Freund, er heißt Sad Eldon.« Nur kurz blickte Grimstan zu den Kindern hinüber, dann starrte er wieder in den fallenden Regen hinaus.
»Ein Priester?«, fragte Danira. »Wird er uns helfen können? Hat er auch einmal gegen das Böse gekämpft, so wie du?«
»Ich weiß nicht, ob er uns helfen kann – vielleicht kann niemand uns helfen.«
»Grimstan, willst du uns nicht endlich ein bisschen mehr erzählen?« Danira beschloss, dieses Mal nicht locker zu lassen. »Woher kennst du diesen Mann? Und wieso besuchen wir ihn, wenn
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