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Brüder der Drachen

Brüder der Drachen

Titel: Brüder der Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Weissbecker
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verwirrendes Land. Wenn Ihr nie dort gewesen seid, dann habt Ihr wahrscheinlich keine Vorstellung von den Wundern, die es dort zu finden gibt. Alle Menschen hier denken, der Südkontinent sei verwüstet – und das ist auch weitgehend richtig. Fruchtbares Land hat sich in Wüsten verwandelt, Seen und Flüsse sind ausgetrocknet, an anderen Stellen sind Landstriche überflutet worden. Aber das ist nicht alles. An manchen Orten ist das Gefüge der Elemente ins Wanken geraten. Stein, Wasser, Feuer, Eis und Luft – in der Welt, die wir kennen, treten sie meist vermischt auf, und sie gehorchen ungeschriebenen Gesetzen, die wir als naturgegeben und unverrückbar betrachten. Auf dem Südkontinent gibt es allerdings Orte, an denen diese Regeln nicht mehr gelten und die Elemente in ihrer reinsten Form existieren.
    Ich habe einen Berg gesehen, der aus Wasser besteht; hoch türmte er sich auf, wie die Berge, die uns hier umgeben. Ich habe einen See aus Eis gesehen, mitten im Sommer. Und ich habe das Feuer gesehen, das nicht vergeht – denn es ist nicht gebunden an irgendeine Materie, die verzehrt wird, sondern existiert nur in sich selbst. Der Ort, an dem ich den Inglaar-Baum fand, war nicht weit entfernt von dem Berg aus Wasser. Vielleicht tauchte er seine Wurzeln in das reinste Wasser, das es gibt – das elementare Wasser einer verwunschenen Quelle. Vielleicht umspannen seine Wurzeln weite Landstriche und treiben von Jahr zu Jahr an einem anderen Ort einen Baum hervor. Denn darin sind sich die Gelehrten einig: Der Inglaar-Baum bricht im Frühjahr irgendwo aus dem Eis hervor, wird bis zum Herbst so hoch wie zwei erwachsene Männer und vergeht dann wieder.
    Als ich den Baum fand, blühte er schon. Er war nicht sehr groß, kaum höher als ich, und nur zwölf Blüten waren an seinen Zweigen. Ich schlug mein Lager neben dem Baum auf und verbrachte dort vier Wochen, bis die Früchte herangereift waren. In dieser Zeit fielen drei von ihnen vom Baum, ohne zu reifen, drei weitere verfaulten. So kam es, dass ich schließlich sechs Früchte ernten konnte. Die Früchte verderben schnell, wenn man sie nicht sorgfältig trocknet und lagert, doch ich wusste, wie ich mit ihnen zu verfahren hatte.
    Es ist nun schon zwei Jahre her, dass ich auf dem Südkontinent war. Vier der sechs Früchte hatte ich inzwischen verbraucht, sodass mir nur zwei verblieben waren, als wir zu diesem Abenteuer aufbrachen. Eine halbe Frucht habe ich benutzt, um Seregons Wunden zu behandeln. Heute habe ich die zweite Hälfte in diesen Trank gemischt, denn ich fühle, dass wir morgen unsere ganze Kraft brauchen werden. Wenn die Wirkung wie erhofft eintritt, wird Gerrics Kopf morgen nicht mehr schmerzen, und auch ich sollte wieder in der Lage sein, ein Schwert zu führen. Es ist aber bemerkenswert, dass in den Inglaar-Früchten vielfältige Kräfte stecken. Man kann aus ihnen einen Trank bereiten, der Wunden heilt, den Körper belebt und auch die Müdigkeit des Geistes lindert, so wie ich es getan habe. Ein anderes Rezept ergibt jedoch ein Gift, das Menschen innerhalb von wenigen Augenblicken tötet. Die Wirkung hängt von den Zutaten ab, die man mit den Früchten mischt. In dem Trank, den Ihr gerade getrunken habt, war ein wenig Rinde der Earwain-Tanne, die Blüten der Feuerblume, das Ei einer Sandechse und ein paar Kräuter, nichts Besonderes eigentlich. Das Rezept wurde wohl durch Zufall gefunden, und ich denke, dass einige der Zutaten vielleicht völlig überflüssig sind. Dennoch werde ich nicht versuchen, die Mischung zu ändern, denn die Folgen könnten fatal sein.«
    Inzwischen war das Licht des Tages zu einem letzten tiefblauen Streifen vergangen, der den westlichen Himmel färbte. Dunkelheit lag über den Drachenbergen, nur fern am östlichen Horizont war ein erster schwacher Schein von Eril-Firions Licht zu sehen, gedämpft durch einen dünnen Wolkenschleier. Eine Weile schwiegen die Gefährten, während sie fasziniert beobachteten, wie der Wächter langsam in den Himmel hinaufstieg. An seiner Seite stand jedoch ein weiteres Himmelslicht – Eril-Angoth, das Auge des Bösen.
    »Lasst uns nun schlafen«, sagte Herubald. »Es ist ein gutes Zeichen, dass Firions Auge über uns wacht. Trotzdem müssen wir auch auf der Hut ein. Ich denke, in dieser Nacht sollten immer zwei von uns gemeinsam wachen.«
    »Gut«, sagte Tirandor. »Aber ich denke, dass Ihr und Loridan jetzt erst einmal schlafen solltet. Ihr habt in der letzten Nacht kaum geruht. Ich werde die erste

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