Brüder der Drachen
Zeit vergangen war, seit sie sich in den Keller des zerstörten Hauses geflüchtet hatten. Tiefe Dunkelheit und Stille umgaben ihn, nur gelegentlich waren leise Geräusche zu hören, die ihm verrieten, dass Danira immer noch an seiner Seite war. Die erste Zeit hatten sie sich aneinandergeklammert und ängstlich dem Wüten des Drachen am Eingang ihres Verstecks gelauscht, später dann war ihre Angst abgeklungen, und sie hatten sich in bequemerer Lage auf den harten Boden gesetzt. Danira klagte über Schmerzen in ihrem Knie, doch es war zu dunkel, um die Verletzung zu untersuchen. Als seine Panik verflogen war, bemerkte Deryn, dass auch er verletzt war. Seine tastenden Finger fühlten eine Beule und eine kleine Wunde an seiner Stirn, die er sich zugezogen hatte, als er in dem niedrigen Gewölbe mit dem Kopf angestoßen war. Zumindest schien nur wenig Blut ausgetreten zu sein. Auch Deryns Nacken schmerzte, denn der Feuerhauch des Drachen hatte seine Haare versengt und auch einen Teil der Haut, die darunter lag. Solange es ohnehin keine Möglichkeit gab, etwas dagegen zu tun, versuchte Deryn, die Schmerzen zu ignorieren, während seine Fantasie ihm unschöne Vorstellungen vom Ausmaß seiner Verletzungen vorgaukelte. Und viel mehr noch plagten ihn die Befürchtungen, was Loridan widerfahren sein könnte.
Ein Drachentöter war es gewohnt, sich dem Drachenfeuer auszusetzen, in den brennenden Dämpfen nicht in Panik zu geraten, denn solange seine Rüstung unversehrt war, konnten ihm die Flammen nichts anhaben. Doch Loridan hatte keine Rüstung getragen. War er wirklich von der Feuerwolke erfasst worden, oder war es aus der Entfernung nur so erschienen? Deryn war klar, warum sein Freund in voller Sicht des Drachen ausgeharrt hatte: Er hatte die Bestie von den Menschen ablenken wollen, die ungeschützt auf der Straße herumgelaufen waren. Aber war das wirklich nötig gewesen? Hatte Loridan sein Leben opfern müssen, damit er, Deryn, leben konnte? Dann wäre seine ganze lange Reise nicht nur sinnlos gewesen, sie hätte sogar einen Schaden verursacht, den er nie wiedergutmachen konnte. Plötzlich spürte er, wie Danira nach seiner Hand tastete.
»Wir können jetzt rausgehen«, sagte sie. »Der Drache ist weg.«
»Woher willst du das wissen?« Deryn war froh, von Danira aus seinen trüben Gedanken gerissen zu werden, auch wenn ihre Worte ihn verwirrten.
»Ich spüre es.«
»Du spürst, dass der Drache weg ist?«, fragte er. »Hast du es auch gespürt, als er gekommen ist?«
»Nein, da war er noch nicht so wütend.«
Obwohl Deryn kein Wort verstand, wollte er sich momentan auf keine Diskussion mit dem Mädchen einlassen. Immerhin lebte sie schon eine Weile in dieser Stadt und schien zu wissen, was sie tat. Und schließlich hatten sie schon lange kein Geräusch mehr vom Eingang her vernommen. Deryn erinnerte sich schaudernd an den Schrei, den er gehört hatte. Unglaublich erschien es ihm, dass die Drachentöter diesen Laut ertrugen und unerschüttert stehen blieben, um der Bestie in die Augen zu sehen. Erneut kamen unerwünschte Gedanken in ihm auf, und er zwang sich zur Besinnung.
»Also gut, lass uns gehen.« Deryn erhob sich und streckte Danira seine Hand entgegen, um auch ihr auf die Beine zu helfen. Sie tasteten sich vorsichtig den dunklen Gang entlang, und als sie um die erste Ecke bogen, war plötzlich ein schwacher Lichtschein vor ihnen zu sehen. Kurz stieg wieder Panik in Deryn auf, doch schon bald erkannte er, dass das Licht vor ihm von einer Laterne stammte. Einen Augenblick später leuchtete die Lampe ihm genau ins Gesicht, sodass er nach dem langen Aufenthalt in völliger Dunkelheit eine Weile brauchte, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Der dunkle Schatten hinter dem flackernden Licht begann zu sprechen.
»Deryn! Schön, dass du von selbst auftauchst. Ich hatte schon gefürchtet, sämtliche Kellerlöcher in der Umgebung nach dir absuchen zu müssen.«
»Loridan!«, rief Deryn. »Du lebst! Wie hast du das gemacht?«
»Nun, mein Leben verdanke ich in erster Linie meiner Mutter, schließlich hat sie mich auf die Welt gebracht. Aber auch meinem Vater gebührt Dank.«
Für einen kurzen Moment war Deryn sprachlos. Seit Tagen hatte er sich Sorgen um seinen Freund gemacht, er hatte sich Gefahren und Strapazen ausgesetzt, um ihn zu finden, und in den letzten Minuten hatte er sich verzweifelten Selbstvorwürfen hingegeben. Und nun stand Loridan vor ihm, seine Züge kaum sichtbar hinter dem blendenden
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