Brüder der Drachen
ein Dieb und Mörder ist«, murmelte Deryn.
»Vielleicht«, sagte Taric. »Aber er weiß auch, dass er sich nicht alles erlauben kann. Wenn er jemals den Bogen überspannt, würden sich alle seine Feinde verbünden und ihn aus der Stadt vertreiben.«
»Ich hoffe, dass du recht hast«, antwortete Loridan. »Trotzdem denke ich immer noch, du würdest einen besseren Richter abgeben als Grostan.«
*
Ohne eine Aufforderung abzuwarten, öffneten die beiden Wachsoldaten die zweiflügelige Tür, um den Priester durchzulassen. Sad Adan schlug die Kapuze seines silbergrauen Umhangs zurück, sodass sein kahler Schädel und der kurz geschnittene schwarze Bart sichtbar wurden, dann betrat er den Raum. Mit gesenktem Blick näherte er sich der kleinen Tafel, an der der alte König allein seine Morgenmahlzeit einnahm. Auf irdenen Platten standen Brot, gebratenes Fleisch und süße Kuchen in einer Fülle bereit, die genug gewesen wäre, um eine ganze Familie zu sättigen. Auch eine gläserne Karaffe mit dunkelrotem Wein befand sich auf dem Tisch.
In respektvollem Abstand blieb Sad Adan stehen und wartete darauf, dass der König ihn ansprechen würde. Zumindest wurde nicht von ihm erwartet, dass er niederkniete – es war das Vorrecht der Priesterschaft, ihre Demut vor dem König stehend zu bekunden; kniend huldigten sie nur ihrem Gott. Unauffällig sah der Priester sich um. Es war das Schlafgemach des Königs, in das man ihn überraschend beordert hatte. Das gewaltige Himmelbett war noch unordentlich und zerwühlt, und die Luft im Zimmer roch verbraucht. Die schweren rostroten Vorhänge waren nur einen Spalt weit geöffnet, sodass der Raum in ein rötliches Zwielicht getaucht war. Gweregon hatte sich im Lauf der Jahre einen seltsamen Tagesablauf angewöhnt, doch niemand wagte es, ihn deswegen zu kritisieren. Erst als der König sich ihm zuwandte und ihn erwartungsvoll anblickte, ergriff der Priester das Wort.
»Ihr habt mich rufen lassen, König Gweregon?«
»Ja, das habe ich. Und du weißt, warum. Also, was haben deine Studien ergeben?« Die langen weißen Haare des Königs hingen ungeordnet über den verzierten Kragen des kostbaren Morgenmantels. Auch Gweregons Bart war ungepflegt und mit Essensresten geschmückt. Sad Adan wusste, dass der König sich meist erst gegen Mittag frisieren und in seine offiziellen Gewänder kleiden ließ.
»Ihr wisst, dass es nicht zu den üblichen Aufgaben eines Priesters gehört, die Zukunft vorherzusagen …«, begann er.
»Tut es das nicht? Sagt ihr den Leuten nicht dauernd ihre Zukunft voraus, wenn ihr sie ermahnt, den Wegen Firions zu folgen? Außerdem bestimme ich, was eure Pflichten sind, schließlich lebt ihr von meinem Gold. Also, wie stehen die Zeichen? Soll ich meine Armeen sofort gegen Calidor in Marsch setzen, oder sind Tan-Thalions Pläne aussichtsreich?« Gweregon spülte die letzten Bissen seiner Mahlzeit mit einem Schluck Wein hinunter.
»Nun, ich habe mich in dieser Angelegenheit mit Sad Serion beraten, und wir haben eine Nacht damit verbracht, die Himmelslichter zu studieren. Eril-Firion und Eril-Angoth nähern sich einander, noch in diesem Jahr werden ihre Bahnen sich kreuzen. Diese Begegnungen sind immer ein Zeichen für bevorstehende Veränderungen. Firion, der Schöpfer, wird seine Macht mit Thaur-Angoth, dem Vernichter, messen. Der ewige Kampf zwischen Gut und Böse …«
»Verschone mich mit diesen Sprüchen!« Gweregon stellte seinen leeren Trinkpokal geräuschvoll auf den Tisch. Aus einer Wandnische kam ein Mundschenk herbeigeeilt und goss Wein aus der Karaffe in das goldene Trinkgefäß, dann verschwand er wieder mit gemessenen Schritten. »Gut und Böse interessieren mich nicht. Ich würde Thaur-Angoth die Füße küssen, wenn er mir hilft, Calidor zu vernichten. Also antworte mir endlich.«
Die Blasphemien des Königs riefen nachdenkliche Falten auf der Stirn des Priesters hervor, sonst zeigte er keine Regung. »Wie ich gerade erläutern wollte, werden sich Eril-Firion und Eril-Angoth bald begegnen. Die Begegnung wird im Zeichen des Jägers stattfinden. Der Jäger ist zwar ein Träger von Waffen, wird aber meist nicht als Symbol des Kampfes gedeutet. Wichtiger ist der überlegene Geist des Jägers, mit dem er seine Beute überlistet. Wir gehen also davon aus, dass für die kommende Zeit des Umbruchs Wissen wichtiger ist als Waffen. Dies mag dafür sprechen, Tan-Thalions Plan auszuführen.«
»Na bitte, ihr Graukittel könnt also auch einmal eine klare Aussage
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