Brüder der Drachen
ihnen, und die beiden Gerüsteten schlossen sich an. Der Weg, der vom Burghof hinunter in Richtung auf die Stadt führte, war erfüllt von Schatten. Unbehelligt passierten sie das erste Tor, doch als sie sich der zweiten Pforte näherten, ertönte plötzlich ein drängendes Pfeifensignal vom Burghof her.
»Verzeiht«, sagte einer der Wächter, und er trat in den Weg des Priesters. »Ich darf das Tor nicht öffnen, wenn ein Alarm ertönt.«
»Aber mein Sohn«, sagte Sad Serion. »Es kommt alsbald die Stunde des ersten Nachtgebetes. Es ist Firions Wille, dass ich zu dieser Zeit vor seinem Altar im Tempel knie.«
»Ich verstehe, Vater.« Der Soldat schien sich sichtlich unwohl in seiner Haut zu fühlen, dennoch machte er keine Anstalten, das Tor zu öffnen. Grimstans Hand krampfte sich um den Griff des Schwertes, während er langsam nach vorne in das Licht der Fackel trat, die neben dem Tor an der Mauer befestigt war.
»Alles ist gut«, sagte er und blickte tief in die Augen des verunsicherten Soldaten. »Du hast deine Sache gut gemacht, doch nun ist der Alarm beendet. Du darfst das Tor öffnen.«
»Natürlich.« Der Soldat wollte gerade den schweren Riegel beiseiteschieben, als aus einer Tür des Wachturms ein weiterer Soldat in den Torweg trat.
»Was tust du da?«, rief er in befehlsgewohntem Tonfall. »Das Tor bleibt geschlossen!«
Sofort trat Grimstan nach vorne, sein Schwert fuhr aus der Scheide hervor. Im gleichen Moment stieß Gwyll einen verängstigten Ruf aus und entriss sich der Hand seiner Mutter. Leise wimmernd lief er den Weg zurück zum oberen Tor, wo sich bereits die Wachen regten. Jeslyn wollte ihrem Sohn folgen, doch Ylee fasste ihren Arm und hielt sie zurück.
»Es ist zu spät – wir müssen fliehen.«
Inzwischen hatte Grimstan seine Waffe auf den Hals des überraschten Offiziers gerichtet. Gleichzeitig stieß Sad Eldon den verunsicherten Soldaten zur Seite, um selbst das Tor zu öffnen. Eine weitere Kriegspfeife ertönte vom Burghof her, schon war der Tritt eiliger Füße zu hören. Als der Offizier sich umwandte, schlug ihm Grimstan den Knauf seines Schwertes gegen den Hinterkopf, sodass er betäubt zu Boden ging. Mit vereinten Kräften schoben Sad Eldon und Sad Serion das Tor auf, und die Gefährten drängten nach draußen. Dort erwartete sie schon der Bettler, den sie zuvor gesehen hatten. Er hatte seine Kapuze zurückgestreift, und in dem abendlichen Zwielicht war sein kurz geschnittenes, ergrauendes Haar zu erkennen – es war Eldilion. Der Gildenmeister begrüßte die Königin mit einem Kopfnicken.
»Wo ist der Prinz?«, fragte er.
Ohne etwas zu sagen schüttelte die Königin ihren Kopf, dann senkte sie ihren Blick.
»Er kommt nicht mit uns«, antwortete Sad Eldon. »Wir müssen ohne ihn fliehen.«
»Dann lasst uns eilen«, sagte Eldilion. »Wir haben nicht viel Zeit.«
Der Drachenritter übernahm die Führung der kleinen Gruppe, als sie eilig den Platz überquerten, der vor dem Burgtor lag. Schon waren von der Burg her lautes Rufen und die Signale weiterer Kriegspfeifen zu hören. Eldilion steuerte auf eine enge Gasse zu, die sie von dem Platz wegführen würde. Er mied den breiten Weg, der direkt zum Osttor führte, und lenkte die Gruppe weiter durch kleine Straßen und enge Gassen. Je weiter sie sich dem östlichen Randbezirk der Stadt näherten, umso kleiner und schäbiger wurden die Häuser, die die Straßen säumten. Es waren einfache Menschen, die hier lebten und sich im Flusshafen der Stadt ihren armseligen Lohn verdienten. Obwohl die Alarmsignale aus der Burg immer noch zu hören waren, schien niemand sie hier zu beachten. Trotz der späten Stunde waren noch viele Menschen in den Straßen und genossen die erste Abkühlung des Sommerabends, denn in den Häusern brütete noch die Hitze des Tages. Aus den weit geöffneten Fenstern der Gasthäuser drangen lautes Singen und Gelächter.
Ein leiser Fluch kam über Eldilions Lippen, als zwei Soldaten in der Gasse vor ihnen auftauchten. Eilig drängte der Gildenmeister seine Begleiter in die schmale Nische zwischen zwei Häusern, während er selbst am Wegesrand stehen blieb, eine Hand am Griff seines Schwertes. Die Zahl der Sterne am Himmel hatte weiter zugenommen, und in den Straßen der Stadt hatte das Zwielicht der Dämmerung sich mehr und mehr verdichtet. Als die beiden Soldaten sich dem Versteck der Gefährten näherten, waren sie kaum mehr als gesichtslose Schemen, dennoch atmete Eldilion erleichtert auf, denn er erkannte
Weitere Kostenlose Bücher