Brüder der Drachen
sie das Gefühl gehabt, dass dieser Junge zu ihr gehörte. Nun hatte Timon sich verändert – er war kein Junge mehr, sondern ein Zauberer, der schon mehrere Leben gelebt hatte. Vor langer Zeit hatte sie zu ihm gesagt, dass sie ihn mögen würde, auch wenn seine Erinnerungen ihn verändern sollten. Nun fragte sie sich, wie viel diese Worte wirklich wert waren. Ja, sie mochte ihn immer noch, doch die Veränderungen, die er durchlebte, waren verwirrend und manchmal sogar erschreckend. Die Art und Weise, wie Timon sich in Car-Niëllath verhalten hatte, war beängstigend gewesen, auch wenn Danira von der Macht beeindruckt gewesen war, die der Junge ausgestrahlt hatte. Ja, er war immer noch ein Junge, oder zumindest war immer noch etwas von dem jungenhaften, liebenswerten Timon in ihm. Vielleicht würden seine Identitäten irgendwann verschmelzen, zu einem großen Zauberer, selbstbewusst und voller Macht, und trotzdem auch jugendlich und freundlich.
Und sie selbst – wie würde sie sich verändern? Was würden das Drachenblut und der Drachenzauber aus ihr machen? Noch schien der Drachenzauber ihr keine zuverlässige Gabe zu sein, denn sie spürte ihn zwar gelegentlich tief in sich, es gelang ihr jedoch nicht, ihn zu steuern und zu nutzen. Und doch – war der Drachenzauber nicht ein neuerliches Zeichen dafür, dass Timons Leben mit dem ihren verwoben war? Als Gerugrim hatte er ihr Schwert in diese Welt gebracht, als Timon hatte er ihr die Thrya-Rune geschmiedet. Und in irgendeinem anderen seiner Leben hatte er die Kraft eines Drachen in einer Perle kondensiert, um diese schließlich ihr zu schenken. Vielleicht würde die Zukunft noch weitere Überraschungen bringen und zeigen, dass sie tatsächlich füreinander bestimmt waren. Aber wahrscheinlich würde es lange dauern, bis dies geschah, und sie hatten nicht viel Zeit – in wenigen Wochen würde die Konjunktion kommen und damit vielleicht das Ende aller Dinge.
Danira sehnte sich danach, dass hier und jetzt jemand da wäre, der ihr zuhören und Trost spenden würde. Aber es gab niemanden. Loridan und Selina waren nun ihre besten Freunde, doch die beiden teilten ein Glück miteinander, an dem sie nicht teilhaben konnte. Andere Freunde hatte sie zurückgelassen in den letzten Wochen – Grimstan, den unheimlichen alten Mann, der ihr viel gegeben hatte, wenn auch keinen Trost und keine Liebe. Von Goldschuppe hatte sie sich verabschieden müssen, und dies war einer der größten Verluste gewesen, die sie je erlebt hatte. Auch wenn ihre Versuche, die Sprache der Drachen zu verstehen, erst am Anfang standen, war es ein überwältigendes Erlebnis gewesen, ihre Gedanken mit denen von Goldschuppe zu verbinden und seine Zuneigung in jeder Faser ihres Körpers zu spüren. Und auch an Terilo erinnerte sich Danira. Nur eine Stunde hatten sie gemeinsam verbracht, und sie hatte ihn nur im dämmrigen Licht der Nacht gesehen. Trotzdem vermisste sie ihn, denn niemand zuvor hatte so schnell gespürt, was ihr fehlte, und war so eifrig dazu bereit gewesen, ihr Trost und Nähe zu geben.
Schmerzlich dachte Danira daran, wie wenig sie darüber wusste, wie andere Kinder aufwuchsen und wie sie Freundschaften schlossen. War es wirklich so einfach, jemanden zu finden, der einem geben konnte, was man suchte? Oder hatte sie eine einmalige Gelegenheit verpasst, als sie sich von Terilo verabschiedet hatte? Vielleicht wäre es hier in Car-Danaan genauso einfach, Zuneigung und Liebe zu finden. Widerwillig gestand Danira sich ein, dass genau dies der Grund war, warum sie sich von den anderen getrennt und die Stadt gemieden hatte. Was nutzte es, hier in der Stadt Freunde zu finden, wenn es ohnehin nur einen neuen schmerzlichen Abschied bedeutete?
Nein, das Meer war ein beständigerer Trostspender. In ihrer Zeit in Car-Elnath war es immer da gewesen, wenn sie es brauchte, und auch nun war es da, zuverlässig und ohne Erwartung irgendeiner Gegenleistung. Die Fahrt von Car-Niëllath nach Car-Danaan war Daniras erste Reise mit einem Schiff gewesen, und sie hatte es genossen, die unbändige Kraft des Meeres unter sich zu spüren. Sie hatte viel Zeit auf dem Deck des Schiffes verbracht und beobachtet, wie die Sonne sich morgens aus dem Meer erhob und abends wieder versank. Und nachts hatte sie gelegentlich nach Vradil Ausschau gehalten, dem kleinen, funkelnden Stern, den sie mit Terilo teilte. Die Nächte hatten nun allerdings einen weiteren Schrecken bekommen – das unheimliche Singen war von Nacht zu
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