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Brüder der Drachen

Brüder der Drachen

Titel: Brüder der Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Weissbecker
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den nächtlichen Himmel abhob: ein kleines geflügeltes Wesen, das bewegungslos auf dem Fensterrahmen kauerte. So klein diese Kreatur auch war, lag in ihr doch eine unheimliche Bedrohung verborgen – die Andeutung einer Macht von unermesslicher Grausamkeit. Dann begannen die Augen des Wesens in einem boshaften roten Licht zu glühen, und aus ihnen schien eine Stimme zu kommen.
    »Du sollst weiterschlafen, Mädchen. Schlafe!«
    Die Aufforderung ließ Daniras Widerwillen neu aufflammen, sie war jetzt hellwach.
    »Nein!«, rief sie, diesmal nicht mit ihrem Geist, sondern mit ihrem Mund. Blitzschnell rollte sie sich aus ihrem Bett, ihre linke Hand fasste die lederne Scheide, und mit einer einzigen flüssigen Bewegung fuhr das Schwert aus seiner Umhüllung und sauste auf das kleine Wesen nieder. Danira fühlte fast keinen Widerstand, als die Klinge die unheimliche Kreatur durchdrang, erst der Aufprall auf das Holz des Fensterrahmens erzeugte ein lautes Geräusch und sandte eine Erschütterung durch ihren Arm. Schon erhob sie das Schwert zu einem weiteren Schlag, doch sie sah, dass dies nicht nötig war. Die roten Augen waren erloschen, und die Gestalt des Wesens löste sich vor Daniras Augen auf. Die Flügel und Klauen verschwammen zu einem dunklen, schattigen Fleck, der schließlich ganz verschwand. Zurück blieb nur die tiefe Kerbe im Holz des Fensterbrettes, die ihr Schwert hinterlassen hatte. Zitternd trat Danira ans Fenster und suchte mit ihren Blicken den Himmel ab. Die junge Nacht war sternenlos und kalt, und nichts regte sich weit und breit. Auch im Zimmer war es kühl geworden.
    Nur langsam gelang es ihr, ihre Gedanken zu ordnen. Was war eben geschehen? Hatte sie geträumt? Ja, soviel war sicher – sie hatte einen Traum gehabt. Aber wann hatte der Traum aufgehört? Gehörte das unheimliche Wesen auf dem Fensterbrett noch zu dem Traum, oder war es wirklich dort gewesen? Sie betastete vorsichtig den Fensterrahmen, der sich kalt und trocken anfühlte, kein Blut oder sonstige Spuren waren zu finden. Und doch – war da nicht etwas? Ein Gefühl, das ihr nicht der Tastsinn ihrer Finger vermittelte. Ein Gefühl, das tief in ihrem Inneren entstand, als ihre Finger über das Holz strichen. Irgendetwas Böses, das nicht in diese Welt gehörte, hatte dieses Holz berührt, und noch immer haftete dieses Böse wie eine unsichtbare Schicht auf seiner Oberfläche. Sie betastete die Klinge ihres Schwertes, und auch daran fand sich kein Hinweis, ob der Kampf tatsächlich stattgefunden hatte.
    Was ging hier bloß vor? Was hatte das Amulett zu bedeuten? War Grimstan wirklich ihr Freund? Auch er hatte sich für das Amulett interessiert, und auch ihm hatte sie nicht die Wahrheit gesagt. Vielleicht hätte sie es tun sollen. Aber wichtiger war es jetzt, erst einmal mit Timon zu reden und mit seinem Großvater, der vielleicht die Bedeutung des Amuletts kannte. Ja, sie musste versuchen, Timon zu finden. Sie schloss die Fensterläden, dann kauerte sie sich auf ihr Bett, den Schwertgriff mit beiden Händen umklammert. Es war sicherer, den Rest der Nacht wachend zu verbringen. Das Gefühl des Schwertes in ihrer Hand gab ihr die Zuversicht, auch mit weiteren ungebetenen Besuchern fertig zu werden. Wenig später war sie eingeschlafen.
    *
    »Wie geht es Zwei ?«
    »Der Schock sitzt noch in ihm«, sagte der kräftige Mann mit dem Vollbart. »Es ist ein schlimmes Erlebnis, wenn der Kundschafter getötet wird, durch dessen Augen man sieht.«
    »Ich hätte gerne noch gehört, was die letzten Dinge waren, die Zwei sehen konnte.« Der Einäugige schüttelte den Kopf. »Irgendjemand hat den Kundschafter erschlagen, soviel scheint mir festzustehen. Oder war doch Magie am Werk?«
    »Das werden wir heute wohl nicht mehr erfahren.« Der Bärtige beugte sich über den jungen Gelehrten, der zusammengekrümmt auf einem Bett lag.
    »Du hast recht, Drei – wir werden in dieser Nacht nicht mehr viel ausrichten. Vier , berichte mir noch einmal über die Nachricht, die Fünf dir heute übermittelt hat. Sind dir noch weitere Einzelheiten eingefallen?«
    »Nein, Eins , ich habe dir bereits alles berichtet.« Der Seefahrer lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. » Fünf sagte nur, dass einer deiner Soldaten durch die Macht des Eises außer Gefecht gesetzt wurde. Und jemand hat das Symbol der Seth-Rune in die Wand eines Stalls geritzt. Aber sonst ist nichts geschehen.«
    »Sonst nichts?« Der Einäugige strich gereizt über seine Augenklappe. »Als ob das nicht

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