Brüder Des Zorns
sie den König von Gran zu heilen versucht. Wieso seid ihr zusammen gereist?«
Er spürte ihr großes Interesse. »Ich ritt nach Süden und durchquerte das Gebiet der Schluchtler, wo ich ihr begegnete. Sie hatte ebenfalls vor, nach Süden zu reisen, und brauchte einen Begleiter. Wir taten uns zusammen. Sie handelt mit Arzneien und betätigt sich als Heilerin. Es war Zufall, dass wir in der Hauptstadt eintrafen, als der König erkrankte.«
»Das könnte der Wahrheit entsprechen. Bist du auf der Reise Zeuge ihrer Heilkünste gewesen?«
»Sehr oft«, antwortete Ansa. »Wenn sie jemandem die Hände auflegt, weiß sie, was ihm fehlt. Für gewöhnlich verschreibt sie dann eine Arznei.«
»Sie heilt also nicht unmittelbar, indem sie den Kranken berührt?«
»Sie sagt, dass sie das nicht vermag.«
»Ich verstehe.« Wieder dachte Larissa nach. Dann sprach sie zögernd und unsicher, als müsse sie jedes Wort sorgfältig erwägen. »Es heißt, die Schluchtler würden nicht … altern. Jedenfalls nicht so wie andere Menschen. Ist dir das während deines Aufenthalts im Land aufgefallen?«
Er war verwirrt, sah aber keinen Grund zur Lüge. »Sicher, ihr Alter ist schwer zu schätzen. Die Alten ähneln den Jungen stark, sie haben nur eine andere Haltung.«
»Das hörte ich bereits«, flüsterte die Königin, und ein erregter Unterton schwang in ihrer Stimme mit. »Glaubst du, dies hängt mit ihren Heilkräften und ihrer Arzneikenntnis zusammen?«
»Könnte sein«, antwortete er und begriff allmählich, weshalb sie sich so seltsam benahm. Er warf ihr einen verstohlenen Seitenblick zu und sah sie in völlig anderem Licht. Larissa besaß den Körper einer Zwanzigjährigen, die niemals Kinder geboren hatte, obwohl sie fast doppelt so alt war. Sie war so durchtrainiert wie ein Renncabo, und ihr gebräunter Körper strotzte vor Gesundheit. Jetzt fiel Ansa zum ersten Mal das feine Netz aus Falten um die Augenwinkel und den Mund auf. Silbrige Fäden zogen sich durch das weißblonde Haar, und die Hand, die sich fest um die Zügel klammerte, hatte zwischen Knöcheln und Handgelenk hervorstehende blaue Adern.
Jetzt begriff er. Die Königin, die schönste Frau der Welt, fürchtete sich vor dem Alter. Die Legenden erzählten von solchen Menschen, von Herrschern, die jeden unterwarfen, nur nicht den Feind aller Menschen. Jede neue Falte, jedes graue Haar war so entsetzlich für sie wie eine verlorene Schlacht.
Zum ersten Mal, seit sich die Speere auf seine Schultern legten, fühlte Ansa neue Hoffnung in sich aufkeimen. Endlich zeigte diese schreckliche Frau eine menschliche Schwäche. Er hatte keine Ahnung, welchen Vorteil er daraus ziehen konnte, aber die Verzweiflung spornte seine Gedanken tausendfach an. Er würde einen Weg finden.
Die Königin wechselte das Thema, obwohl sie bestimmt liebend gerne mehr darüber erfahren hätte. Inzwischen ritten sie durch verwüstete Landstriche, die aber besser aussahen, als Ansa erwartet hatte. Offenbar hatte Gasam zahlreiche Überfälle vornehmen lassen, aber nirgendwo war alles so vollständig zerstört worden, wie es sonst der Fall war, wenn siegreiche Armeen plünderten. Die Räuber nahmen nur Sklaven und Vorräte mit. Es waren nur vereinzelte Gehöfte in Brand gesteckt worden. Er sah kaum junge Männer und Frauen. Das beste Vieh war verschwunden. Beim Anblick der Shasinn flohen die Menschen in wilder Hast in die Wälder.
»Warum zerstört ihr die Länder?« fragte Ansa. »Auf diese Weise ist ein Land zu arm, um Tribut zu zahlen, und die Bauern verhungern.«
»Das ist unwichtig. Minderwertige Menschen leben nur, solange es uns gefällt, und wir dulden sie nur, solange sie dienen und kernen Ärger machen. Wir sind reich genug und halten nichts von den Dingen, die so genannte zivilisierte Leute schätzen. Sie lieben wertlosen Tand.«
»Warum seid ihr dann nicht auf euren Inseln geblieben? Dort hättet ihr zufrieden als Krieger leben können und würdet keine Menschen quälen, die euch nichts getan haben.«
Sie hieb ihm die Reitgerte quer durchs Gesicht. Es geschah fast beiläufig, ohne Bosheit, als müsse sie einen aufsässigen Hund zur Ordnung rufen.
»Es steht dir nicht zu, die Taten deines allmächtigen Königs in Frage zu stellen. Du bist sein Untertan und gehörst ihm. Uns ist es gleichgültig, ob einige Leute hungern, denn es gibt viel zu viele Menschen. Mehr als genug! Uns gefällt die Wildnis besser als Städte, und von Bauern halten wir nichts.«
Das klang anders als das, was er
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