Brüder Des Zorns
Hinterbeine anzog, bohrte sich der Pfeil hinter den Schulterblättern in den Körper. Das Tier landete, als sei nichts geschehen, und setzte zu einem weiteren anmutige Satz an. Als die Vorderbeine diesmal den Boden berührten, brach es zusammen und blieb wild zuckend liegen.
Ansa galoppierte los und sprang neben der Beute vom Cabo. Er stieß den Lanzenschaft in den Boden und wickelte die Zügel darum, ehe er neben dem Bock niederkniete und das Messer zog. Der Gnadenstoß war überflüssig. Der Bock war tot. Trotzdem schnitt er ihm die Kehle durch, um das Tier auszubluten. Die Herde hatte in hundert Schritten Entfernung angehalten und graste, als wäre nichts geschehen.
Larissa und ihre Krieger gesellten sich zu ihm. Die Königin redete in der Shasinnsprache zu ihnen.
»Das war hervorragend! So einen guten Bogenschützen habe ich noch nie gesehen!«
Ansa war darauf bedacht, das Tier zum Transport vorzubereiten und sah sich nicht um, als die Wachen abstiegen. »Es war ganz leicht. Er ist ebenso geflohen wie die Gabelhörner meiner Heimat. Ich hoffe, er schmeckt genauso gut. Magst du lieber …« Er hielt inne, als er eine Berührung an seinen Schultern spürte. Die langen Klingen der Speerspitzen lagen über seinen Schultern und berührten sich unter dem Kinn. Er vernahm ein leises Klirren, und ein dritter Speer legte sich auf seinen Nacken. Ansa rührte sich nicht, als ihm eine Hand das Messer entwand und Schwert und Steinaxt ergriff. Sein Hals lag inmitten eines Dreiecks aus scharfem Metall. Wenn die Männer sich ruckartig bewegten, würden sie ihn enthaupten.
Innerlich war er vor Angst wie erstarrt, ließ sich aber nichts anmerken. Es war seine erste Bewährungsprobe als Krieger, und ihm blieb nichts übrig, als dem Tod mutig ins Auge zu sehen. Ein Shasinn packte den Bock an den Hinterläufen und zerrte ihn beiseite. Trotz seiner misslichen Lage war Ansa von der Kraft des jungen Mannes beeindruckt.
»Ich hoffe, du wirst ihn verzehren«, sagte er und war stolz, dass seine Stimme nicht zitterte. »Ich töte nicht zum Spaß.«
»Aufrichten!« befahl Larissa. Sanft zogen die Krieger an den Speeren und zwangen Ansa, sich aufrecht hinzuknien. Dann ergriffen sie seine Handgelenke und fesselten sie auf dem Rücken. Sie ging um ihn herum und stellte sich dicht vor ihn, so dass er den Kopf in den Nacken legen musste, um sie anzusehen. Larissa hatte den Reitumhang und alle anderen Kleidungsstücke bis auf ihren Schmuck abgelegt. Sie war nur in ihre Schönheit gehüllt. Nie zuvor hatte Ansa einen gefährlicheren Anblick genossen.
»Wer hat mich verraten?« fragte er zornig.
»Du selbst. Außerdem hast du meine Gastfreundschaft missbraucht, weil du unter falschem Namen vor mich tratest.«
»Es wäre dumm gewesen, dir die Wahrheit zu sagen.«
»Nun, es war ein mutiger Versuch. Wie heißt du wirklich?«
»Ansa ist mein richtiger Name.«
Sie trat noch näher, nahm sein Kinn zwischen Daumen und Finger der linken Hand und bog ihm den Kopf zurück, ehe sie ihn sanft von rechts nach links drehte, als untersuche sie ein seltenes Juwel und bewundere seinen Glanz.
»Du hast wenig von einem Shasinn an dir, jedenfalls nicht, wenn man dich mit uns vergleicht. Du musst nach dem Volk deiner Mutter geraten sein. Bis auf mich, meinen Gemahl und drei oder vier Offiziere hättest du jeden täuschen können.«
»Wie hast du es herausgefunden?« Er wollte es wissen, bevor er starb.
»Du hättest es niemals ahnen können. Deine Stimme ist haargenau so, wie seine vor zwanzig Jahren war. Ich habe es sofort gemerkt, als du die ersten Worte an mich richtetest.«
»Du vermagst deine Gefühle gut zu verbergen.« Ansa meinte das Kompliment ernst.
»Du auch. Wärst du am Leben geblieben, wäre ein hervorragender Krieger aus dir geworden.«
»Dann bring es zu Ende«, sagte er und nahm allen Mut zusammen. »Was wirst du den Granianern erzählen? Alle wissen jetzt, dass dein Versprechen des sicheren Geleites eine Lüge ist.«
»Deine Unerfahrenheit wurde dir zum Verhängnis. Hast du meine Zusicherung nicht vorgelesen bekommen?«
»Doch.«
»Dann hätte dir auffallen müssen, dass nur die Insel als neutraler Boden bezeichnet wurde. Hier im Land meines Herrn, in dem ich als Königin herrsche, nehme ich gefangen, wen ich will. Die Diplomaten haben das gewusst, aber niemand hielt es für nötig, dir davon abzuraten, mit mir über die Brücke zu reiten. Du hast wenige Freunde in Gran.«
»Dann töte mich!« sagte er voller Hoffnung.
»O nein,
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