Brüder Des Zorns
brüllte ein Krieger ein wenig lustlos. Ansa sah, wie enttäuscht die Shasinn waren, nicht an der Schlacht teilgenommen zu haben. Er wusste, was die Jahrmarktstimmung bedeutete. Er hatte noch nie an einer Belagerung teilgenommen, aber schon mit erfahrenen Kriegern darüber gesprochen. Sobald die Stadt fiel, trafen Handelskarawanen ein. Wie Aasfresser lungerten sie am Rande jedes Kriegsschauplatzes herum, und nichts zog sie so an wie eine gefallene Stadt. Vermutlich war Larissa erst vor zehn oder zwölf Tagen zur Insel aufgebrochen.
»Wie sind so viele in so kurzer Zeit hierhergekommen?« fragte er. Wie üblich ritt er neben der Königin. In den letzten Stunden hatten sie nur über Belanglosigkeiten geplaudert, und sie benahm sich sehr freundlich – was auch immer das bedeuten mochte. »Ein paar Karawanen kommen von weit her, aus Neva vielleicht, und ich gehe jede Wette ein, dass die Buckler aus der Zone stammen.«
»Sie eilen jedes Mal herbei, wenn Gasam in den Krieg zieht. Da er immer gewinnt, warten sie nicht erst bis zum Ende einer Schlacht. Sie halten sich jenseits des Kampfgebiets auf und strömen in Scharen heran, wenn der Sieg unser ist. Manche waren schon hier, als ich aufbrach. Sie verkauften Vorräte und erwarben Gefangene. Sie gingen das Risiko ein und waren in der Lage, gute Preise zu erzielen. Außerdem wollen sie in der Nähe sein, wenn die Stadt fällt. Soldaten stürmen mit Beute heraus, die sie unter Preis verkaufen, und dann rennen sie gleich wieder los, um noch mehr zu holen.«
Sogar in seiner misslichen Lage merkte Ansa sich jedes Wort. Offenbar schaffte es nicht einmal Gasam, die Exzesse nach dem Fall einer Stadt einzudämmen und für Disziplin zu sorgen. Die Cabos schritten den Hang hinab, und sein Magen verkrampfte sich. Bald würde er Gasam gegenüberstehen, dem Mann, der ihm seit seiner Kindheit als Mensch gewordener Dämon geschildert worden war. Nie hatte er geglaubt, er würde den Mann treffen, ehe ihm sein Vater in einer Schlacht gegenüberstand.
Sie ritten durch das ehemalige Heerlager, das jetzt zum Markt geworden war. Ansa erblickte Tausende Männer, Frauen und Kinder in Pferchen. Die meisten saßen auf dem Boden, starrten vor sich hin und waren mit langen Seilen an den Hälsen zusammengebunden. Am Eingang jedes Pferches standen Händler und nahmen Gebote entgegen. Die Menschen wurden nicht einzeln verkauft, sondern in Gruppen von zwanzig oder fünfzig Personen.
Überall stapelten sich geplünderte Waren, die von den Käufern begutachtet wurden. Alles war grob sortiert, so dass auf einem Haufen feine Stoffe oder Kunstwerke, Duftwässer und so weiter lagen. Sie kamen an riesigen Weinkrügen, Caboherden und anderen Haustieren vorbei. An einer Stelle stapelten Sklaven große farbige Platten wunderschön polierten Marmors auf. Offensichtlich handelte es sich um Steine von den Tempelfassaden. Ein Stück weiter erblickten sie zahlreiche Behälter mit Färbemitteln und viele Ballen aus gewobenem Quilhaar. Das einzige, was nirgendwo zu finden war, waren seltene Metalle und Juwelen. Sicher behielt Gasam sie für sich zurück, dachte Ansa.
Ein lautes Krachen erregte ihre Aufmerksamkeit. Auf der Krone der Stadtmauer arbeiteten Männer mit Meißeln und Hämmern, um Quader zu lösen. Wenn man den beachtlichen Steinhaufen am Fuß der Mauer betrachtete, war sie bereits bedeutend niedriger als zuvor.
»Es sieht so aus, als plane der König, die Stadt dem Erdboden gleichzumachen«, meinte Ansa. »Aber du hast mir ja erklärt, dass ihr Shasinn nicht viel von Städten und ihren Bewohnern haltet.« Sie antwortete nicht, runzelte aber besorgt die Stirn. Das Ganze gefiel ihr nicht. Sie betraten die Stadt. Überall sah man Anzeichen von Verwüstung, aber Arbeiter hatten breite Straßen durch die Schuttberge geräumt, um die Plünderung zu erleichtern. Endlose Reihen Gefangener schleppten Lasten zum Marktplatz hinab. Ansa hatte noch nie gehört, dass eine Großstadt Stück für Stück versteigert worden war, aber das schien Gasams Absicht zu sein.
Das Zelt des Königs stand auf dem großen Platz in der Stadtmitte. Davor erhob sich eine hohe Plattform, auf der ein schlicht gekleideter Mann stand und die vor ihm liegende Szenerie mit grimmiger Miene betrachtete. Nur der lange Shasinnspeer, der ganz aus Stahl bestand, unterschied ihn von seinen Stammesbrüdern. Ansa wusste, dass er Gasam vor sich hatte, und fühlte zu seiner Schande, wie sich sein Magen vor Angst verkrampfte.
Als der Mann die kleine
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