Brüder Des Zorns
drei Jahren keinen Pflug gesehen.«
Ansa sah verächtlich zu den Feldern hinüber. »Ich habe nie begriffen, wieso Menschen Tag für Tag in der Erde wühlen und das als Leben bezeichnen.« Er spürte, dass sie anderer Meinung war, und fügte hinzu: »Aber du hast gesagt, die Schluchtler leben von ihren Herden. Das ist bedeutend besser.«
»Sie werden sich glücklich preisen, dass du eine so hohe Meinung von ihnen hast«, bemerkte sie trocken.
»Ich habe doch nicht gemeint …« Er brach ab. »Was ist das?«
Bisher waren sie am Ufer entlang nach Norden geritten und hatten jetzt eine Stelle erreicht, die an einer Seite von einer riesigen Klippe aus rotem Sandstein begrenzt wurde, die sich hoch über ihren Köpfen stark nach außen wölbte. Ansa wies auf einen tiefen Einschnitt, wo kleine Gebilde aus Lehm wie die Nester großer, in den Felsen lebender Vögel an der Klippenwand klebten.
»Das ist das Dorf Rotstein.«
»Ein Dorf? Willst du damit sagen, dass dort oben Menschen leben?« Jetzt sah er sie: seltsame, fast geisterhafte Gestalten in roten Gewändern, von denen einige sich um kleine Herden kümmerten. Am Fuß der Klippe standen Pferche und eine Vorrichtung, mit der Wasser aus einem steinernen Becken geschöpft wurde. Das Becken war durch einen in den Stein gehauenen Kanal mit dem Fluss verbunden.
Rauch stieg aus den Schornsteinen und war in der klaren Luft deutlich zu riechen. Ansas Magen knurrte vernehmlich, und ihm wurde bewusst, dass er seit dem frühen Morgen nichts gegessen hatte.
Die Stille war eigenartig. Aus der Ferne war das missmutige Brüllen einiger Buckler zu hören, aber das war alles. Dörfer hatte Ansa bis jetzt immer als laut empfunden. Jedenfalls waren sie es, wenn er und seine Freunde hineinritten. Monatelang hatte er in der lärmenden Mine gelebt und war nicht mehr daran gewöhnt, dass so viele Menschen so wenige Geräusche verursachten.
Als sie näher kamen, fiel ihm auf, dass sogar die Kinder leise spielten.
»Wie soll ich mich benehmen?« fragte er unsicher.
»Wie ein Steppenbewohner«, lautete die Antwort. »Ich nehme an, dass es dir nicht leicht fällt, deine Arroganz zu unterdrücken. Benimm dich so, wie du es in meinem Dorf tatest, dann erregst du keinen Unwillen.«
Ansa hatte seine Manieren immer für ausgezeichnet gehalten, und es störte ihn, dass Fyana ihn für eingebildet hielt. Erwartete sie etwa Demut? Er hatte sich so verhalten, wie es einem Krieger der Steppe zustand, der barbarische Völker besuchte. Was wäre passender gewesen?
Als sie sich dem Wasserbecken näherten, kam ihnen gemessenen Schrittes eine hochgewachsene Gestalt entgegen. Wie Ansa bereits bemerkt hatte, war das Geschlecht der hier lebenden Menschen nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Die Kapuze und der vor dem allgegenwärtigen Staub schützende Schleier bedeckten den Kopf und ließen nur ein Paar erstaunlicher Augen in der Farbe frisch geprägter Goldmünzen frei. Er hörte, wie Fyana aufgeregt nach Luft schnappte. Sie verneigte sich demütig – es war das erste Mal, dass er diese Geste hier beobachtete.
»Lady Bel! Ich rechnete nicht damit, dir hier zu begegnen.«
Die Fremde erwiderte den Gruß, indem sie die Hand mit den langen schmalen Fingern auf Fyanas Stirn legte.
»Ich habe euch erwartet und ging euch entgegen.«
Wieso erwartete sie uns? dachte Ansa. Besaß sie die Macht, in die Zukunft sehen zu können? Hatte sie besonders flinke Späher? Oder war es nur ein weiterer Mummenschanz, der ihn an ihre Zauberkraft glauben lassen sollte? Er vermutete, dass letzteres zutraf.
Jetzt richteten sich die goldenen Augen auf ihn. »Willkommen, Ansa, Sohn des Hael. Willkommen in Rotstein.« Eine Gruppe Dorfbewohner versammelte sich hinter Lady Bel.
»Ich danke dir, Herrin. Anscheinend sind meine Versuche, meine Herkunft zu verheimlichen, vergebens.«
Obwohl er nur die Augen sah, war er sicher, dass sie lächelte. »Vor uns musst du nichts verbergen. Aber dort, wohin du reisen willst, ist es von größter Wichtigkeit.«
»Woher weißt du, wohin ich reise?« Um sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen, führte Ansa das Cabo zum Wasserbecken und ließ es trinken.
»Wir müssen uns nicht hier draußen unterhalten«, erklärte Lady Bel. »Das wäre sehr unhöflich.« Sie wandte sich an einen der hinter ihr stehenden Männer. »Ältester Yama, können wir uns mit den Gästen ins Haus zurückziehen?«
Der Mann verneigte sich. »Natürlich.« Er sah Ansa an. »Erlaube mir, dem hochverehrten
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