Brüder Des Zorns
erweist.«
»Wieso redet ihr beide so, als hätte ich diesem Irrsinn schon zugestimmt?«
»Lady Bel wünscht, dass ich reise, also tue ich es«, erklärte Fyana gelassen.
»Und du wirst reisen, weil diese Aufgabe eines großen Kriegers würdig ist«, fügte Lady Bel hinzu. »Wenn sich der Sohn des Königs in die Nähe des Erzfeindes wagt, werden die Barden noch lange von dieser Heldentat singen. Wenigstens bist du dann in der Lage, dich deinem Vater als würdiger Krieger zu beweisen.«
Er wusste, dass sie ihn bei seiner Kriegerehre packte, konnte sich ihren Verheißungen jedoch nicht entziehen. Wenn er sich einverstanden erklärte und wie durch ein Wunder überlebte, würde niemand an seinem Können zweifeln. Obwohl er nicht der Nachfolger seines Vaters werden wollte, würde ihm diese Tat einen hohen Rang inmitten der Krieger bescheren. Ansa ärgerte sich ein wenig, dass ihn diese Schluchtler in die Enge trieben und ihm keine Möglichkeit gaben abzulehnen, ohne vor ihnen und sich selbst als Feigling dazustehen. Ganz besonders, weil Fyana nicht die geringsten Bedenken hatte, sich auf die vielleicht tödliche Reise zu begeben oder gar in die Hände Gasams und seiner furchtbaren Gemahlin zu fallen.
»Eine ehrenvolle Aufgabe«, sagte er zögernd.
»Mehr als das«, widersprach Lady Bel. »Sie ist unumgänglich.«
»Also gut«, erklärte Ansa und war sich bewusst, wahrscheinlich seinen Untergang zu besiegeln. »Ich werde es tun.«
KAPITEL VIER
E s war ein gutes Gefühl, wieder ein Heer anzuführen. Gasam hätte reiten können, aber es missfiel ihm, auf dem Rücken eines Tieres zu sitzen, wenn seine Soldaten zu Fuß marschierten. Er hatte seine Truppen immer als Krieger angeführt. Auch jetzt schritt er den Soldaten voraus, und die langen muskulösen Beine gaben ein rasches Tempo vor. Daheim auf den Inseln eilten die Shasinn während ihrer Raubzüge im Laufschritt vorwärts, um dem Feind so wenig Zeit wie möglich zur Vorbereitung von Abwehrmaßnahmen zu geben. Bei einem so langen und beschwerlichen Marsch wie diesem war das wenig sinnvoll, da die Festlandbewohner keine guten Läufer waren. Dennoch beabsichtigte er nicht, sich im Schneckentempo der Armeen der Kulturvölker fortzubewegen. Seine Soldaten standen vor den Toren einer Hauptstadt, ehe die Bewohner noch ahnten, dass der Feind die Landesgrenze überschritten hatte.
Dennoch war ihm die Bedeutung berittener Späher bewusst, und er schickte sie weit voraus. Einer der Reiter kehrte von Zeit zu Zeit zurück, um Bericht zu erstatten.
Ein Beobachter hätte Gasam nicht für den König gehalten. Bis auf den auffälligen Speer, der ganz aus Stahl bestand und nur einen hölzernen Handgriff hatte, wirkte er wie ein gewöhnlicher Krieger. Er trug nicht einmal den bei den Shasinn so beliebten Schmuck und keine Kriegsbemalung. Gürtel und Lendenschurz bestanden aus schlichtem rotem Leder, und er ging barfuss. Hinter ihm marschierte ein Krieger, der seinen ovalen schwarzen Schild trug, der genauso aussah wie die Schilde aller Shasinn. In seinem Rücken erklang das rhythmische Stampfen Tausender nackter Füße, und alle Männer hörten auf seinen Befehl.
Diese angenehmen Gedanken beschäftigten Gasam, als sie die Ausläufer des Gebirges erreichten. Irgendwo dort oben würde er die Grenze seines Landes überschreiten und sich auf feindliches Gebiet begeben. Er berichtigte sich. Natürlich war er der Herr der Welt, aber Gewalt war unumgänglich, damit auch jeder diese Tatsache begriff. Außerdem liebte er Gewalt. Grausame Unterdrückung seiner Mitmenschen machte Gasams Leben erst lebenswert. Wenn sich ihm ein Volk ohne Blutvergießen ergab, fühlte er sich betrogen.
Die vorausgerittenen Boten hatten dafür gesorgt, dass an jedem Lagerplatz ausreichend Vorräte von den örtlichen Bauern auf die Männer warteten. Zahlreiche frisch geschlachtete Tiere lagen bereit, aber Gasam hatte strikten Befehl erteilt, den Kriegern keine starken Getränke anzubieten. Das musste bis nach dem Sieg warten.
Das Heer schlug sein Nachtlager auf. Diese Arbeit bestand hauptsächlich aus dem Ablegen der Waffen und ihrer Pflege und dem Entzünden der Lagerfeuer. Nach der Rückhut betrat der ›Letzte Mann‹ das Lager, und die Männer schwiegen, als er an ihnen vorüberging. Auf den Schultern trug der Riese – ein Eingeborener aus dem Dschungel der südlichen Halbinsel – ein in einem Holzgerüst befestigtes Fallbeil. Die Pflicht des Letzten Mannes bestand darin, alle Soldaten zu
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