Brüder Des Zorns
habe ich auch schon häufig gehört«, stimmte Fyana zu. »Bitte sprich weiter.«
»Ich glaube, dass ein großer Teil der Welt aus jenen Tagen stammt. Geisterkraft ist hauptsächlich für eigensinnige alte Männer und Visionäre wie meinen Vater wichtig. In Ländern mit großen Städten beachtet man Geister gar nicht. Stattdessen gibt es dort Religionen, und Priester dienen als Mittler zwischen Göttern und Menschen und vollziehen alle Rituale.«
Er betrachtete die steilen Wände der Schlucht. »Ich glaube, dass es noch Orte gibt, an denen die Zeit der Kümmernisse stehen geblieben ist. Auf den Inseln und hier gibt es mächtige übersinnliche Kräfte. Menschen, Tiere und das Land stehen in … inniger Verbindung.«
»Da hast du recht«, meinte Fyana und sah ihn mit größerem Ernst an als zuvor. »Tiefgründige Gedanken für einen unabhängigen jungen Krieger! Aber schließlich bist du der Sohn deines Vaters.«
»Es gab Zeiten, in denen ich es nicht sein wollte«, gab er zu.
Inzwischen waren sie dem Grund der Schlucht ein wenig näher gekommen, und er erblickte eine Gruppe eigenartiger Wesen, die zwischen einer Ansammlung verkümmerter Bäume umherstreifte. Zuerst hielt er sie für verkrüppelte Menschen, klein und stark behaart. Dann erst sah er die langen Schwänze und schmalen Schnauzen. Als sie die Reiter bemerkten, verstummte das unaufhörliche Schnattern, und sie brachen in erstauntes Geschrei aus. Ihre Bewegungen wirkten so menschlich, dass Ansa nicht sicher war, zu welcher Gattung sie gehörten.
»Sind das Menschen?« fragte er.
»Nein, es sind Hanumas. Von allen Tieren sind sie den Menschen am ähnlichsten, können aber nicht sprechen. Wenn man ihnen zu nahe rückt oder sie bedroht, sind sie gefährlich, aber ansonsten lassen sie uns in Ruhe.«
»Ich hörte, dass es entlang der Küste ein Tier gibt, das Baummännchen heißt, aber sehr klein sein soll. Diese dort sind fast halb so groß wie ein erwachsener Mann.« Er lachte, als die Tiere abschreckende Gesten machten, die aber nicht bedrohlich, sondern nur komisch wirkten.
»Sie sind grässlich und fallen über Vorratslager und Ernten her, aber wir sehen darüber hinweg, da sie so unterhaltsam sind. Die Jungen zu beobachten macht den meisten Spaß.«
Er sah, was sie meinte. Die furchtlosen Jungen hüpften zwischen den Beinen der Erwachsenen herum und spielten, ohne sich durch die Aufregung über die Reiter stören zu lassen. Mit den noch runden Schnauzen, hellen, klugen Augen und winzigen Nasen sahen wie fast wie Menschenkinder aus. Die Gesichter waren noch unbehaart und rosig.
Während sie weiterritten, gaben die Hamunas die unfreundlichen Gesten auf, ließen sie aber nicht aus den Augen. Ansa staunte über ihren verständigen Blick. Es waren keine Menschen, aber sicherlich eng mit ihnen verwandt, dachte er.
Von oben gesehen, wirkte der Boden der Schlucht glatt, aber als sie ihn erreichten, stellte er sich als uneben und von tiefen, steinharten Rinnen durchzogen heraus. Die Cabos mussten sehr vorsichtig sein, um nicht in ein Loch der unter der Erde lebenden Tiere zu treten. Einmal lugte eine winzige Nase aus einem dieser Löcher heraus. Runde Augen blinzelten hinter dem gespaltenen Horn ins helle Tageslicht. Ansa deutete auf das Loch im Boden.
»Ein Nashorn!« rief er. »Du hast gesagt, die Tiere der Schlucht wären anders als ihre Vettern draußen. Solche Viecher habe ich schon überall gesehen.«
»Sie sehen ähnlich aus«, berichtigte ihn Fyana. »Diese hier klettern bei Sonnenuntergang aus ihren Löchern, und dann singt die ganze Schar im Chor. Hast du das schon einmal erlebt?«
»Nein«, musste er zugeben. »Die anderen graben Löcher und sonst nichts. Ich habe nur einen einzigen Laut von ihnen gehört, einen Warnschrei, wenn sich ein Raubtier nähert.«
»Das machen diese hier auch. Und sie sind genauso lästig wie die übrigen. Es sind aber Schluchtnashörner, das ist das Besondere!«
Als sie sich dem Fluss näherten, wurde das Land allmählich flacher. Der Boden wurde fruchtbarer und war von Unmengen Dornenbüschen, verkrüppelten Bäumen und bunten Blumen bewachsen. Es wimmelte nur so von Vögeln und anderen Tieren, als habe sich das Leben der Schlucht um den großen Fluss geschart. Hier und dort erblickte Ansa einstmals bearbeitete Felder, die von niedrigen Steinmauern umgeben waren. Er fragte Fyana danach.
»Die Felder werden ein oder zwei Jahre lang bestellt und liegen dann drei oder vier Jahre brach. Jene haben seit mindestens
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