Brüder Des Zorns
Stadttor angelangt. Der Mann starrte angestrengt zu den Hügeln im Westen hinüber.
»Was siehst du?«
»Reiter nähern sich von Westen, Kommandant«, lautete die Antwort. »Ich glaube, sie treiben ein paar Bauern vor sich her.«
»Banditen, wie? Sie werden immer frecher, jetzt reiten sie schon bei Tageslicht in Sichtweite herum.« Er zog das Fernrohr aus dem Gürtel. Das feine nevanische Instrument und der prunkvolle Helm waren Statussymbole seines Ranges. Er setzte das Fernrohr ans Auge und stellte es ein. Die vor Hitze flimmernde Luft ließ den Anblick ein wenig verschwimmen, aber er sah, dass die Reiter fliehende Menschen verfolgten. Plötzlich wurde einer der Flüchtenden von einem Speer durchbohrt. Die Reiter beachteten ihn nicht weiter und setzten den anderen nach. Pegra ließ das Fernrohr sinken.
»Das ist seltsam«, murmelte er. »Irgendetwas stimmt da nicht.«
Für gewöhnlich überfielen Banditen Dörfer bei Nacht und hielten sich bei Tag in ihren Verstecken auf. Sie töteten Dorfbewohner oder verkauften sie an Sklavenhändler, aber sie jagten ihnen nicht am helllichten Tage hinterher und schon gar nicht in Sichtweite der Garnison.
»Lass den Gong ertönen!« befahl Pegra. »Wir schicken den Burschen die Cabotruppe auf den Hals.« Wieder schaute er durch das Fernglas und sah, wie die letzten Flüchtlinge von ihren Verfolgern niedergemetzelt wurden. Einer der Reiter stieß ein Freudengeheul aus. Da er sich schon fast in Schussweite befand, war er gut zu hören.
Jetzt ertönte der Alarmgong. Schon nach wenigen Sekunden hielt der Wächter inne. »Kommandant!« sagte er mit erstickter Stimme.
»Was ist?« Pegra wandte sich um und sah den Mann nach Westen zeigen. Hastig und mit ungutem Gefühl hob er das Fernrohr. Hinter den umhergaloppierenden Reitern marschierten Soldaten über die Hügelkuppe. Sie gingen in Viererreihen, die sich jetzt aufteilen. Jeweils zwei Krieger schritten am rechten und am linken Straßenrand. Immer mehr Soldaten tauchten auf. Die Reihen teilten sich, und in Windeseile sah sich Pegra einem riesigen Heer gegenüber. Jeder Soldat trug einen schwarzen Schild. Alles geschah so schnell, dass die Garnison nicht einmal vollständig auf dem Wehrgang versammelt war, als die schwarze Flut die Stadt zu überschwemmen drohte.
»Gasam!« Pegra erstickte fast an dem Wort. »Dieser Wahnsinnige, der Chiwa eroberte! Woher kommt er nur?«
»Aus Chiwa vermutlich«, antwortete der Posten mit wenig ehrerbietiger Stimme. »Ich wünschte, wir hätten einen guten Soldaten als Kommandanten!«
Pegra fiel der unverschämte Tonfall gar nicht auf. Unbeschreibliche Angst hielt ihn gepackt. Fieberhaft überlegte er, wie sich’ die Stadt ohne Blutvergießen ergeben konnte. Selbst in seiner verzweifelten Verfassung wusste er, dass es zwecklos war. Gasam duldete es, wenn einfache Soldaten die Waffen streckten, da er mit ihnen sein Heer vergrößerte. Selten gestattete er Offizieren, in seine Dienste zu treten. Kommandanten nie. Sie wurden immer getötet. Nahm man sie nach einem Kampf gefangen, wurden sie sofort hingerichtet, um die Sinnlosigkeit jeglicher Gegenwehr zu veranschaulichen. Gaben sie kampflos auf, starben sie langsam, zur Strafe für Feigheit und Schwäche.
Um seine Angst zu verdrängen und Zeit zu gewinnen, einen Fluchtplan zu schmieden, brüllte er seinen Leuten wirre Befehle zu. Sie beachteten ihn nicht, da sie selbst wussten, was zu tun war. Bögen wurden gespannt, Pfeile, Wurfspeere und Steine für die Schleudern aus den Waffenkammern geholt.
Währenddessen eilte Pegra nach unten – angeblich, um seine Kampfrüstung anzulegen. Niemand sah ihm nach, da jeder mit sich selbst beschäftigt war. Eilig stürmte er in sein Haus, wobei’ er den angstvoll in einer Ecke kauernden Konkubinen keinen Blick schenkte und raffte die wertvollsten und leichtesten Schätze zusammen, die er besaß. Dann schleuderte er den Prunkhelm und den Brustpanzer in eine Ecke und legte eine schlichte Tunika an.
Mit dem Bündel über der Schulter, rannte er zum Flußtor. Die Bewohner der Stadt liefen zum vorderen Stadttor, um die nahenden Feinde zu begaffen. Keuchend vor Angst zerrte Pegra an dem schweren Riegel und öffnete das Tor. Er machte sich nicht die Mühe, es wieder zu schließen. Die Stadt ging ihn nichts mehr an. Er fiel fast die Böschung hinab, rannte über den hölzernen Steg und warf das Bündel ins Heck des Bootes. Dann sprang er hinterher und schnitt das Seil mit dem Dolch entzwei.
Während das Boot
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