Brüder Des Zorns
reden.«
»Gerne«, antwortete er. Wie seltsam, dachte Ansa, aber in seiner Heimat lehnte man keine Einladung in das Haus eines Fremden ab, ohne denjenigen schwer zu beleidigen. Dennoch ermahnte er sich, auf der Hut zu sein. Vielleicht stammte er von einem Volk ab, das im Gegensatz zu diesem barbarisch war, aber dennoch wusste er um die Gefahr, die ein eifersüchtiger Ehemann darstellte.
Eine Tür in der Mauer wurde geöffnet, und ein alter Mann ließ ihn ein. Dahinter erwartete ihn einer der Riesen mit dem eisigen Blick, die den vornehmen Frauen als Leibwächter dienten. Ansa trat ein. Fast schien es, als schritte er erneut durch das Stadttor, da sofort hinter der Tür eine Treppe begann, die auf einer weitläufigen Terrasse endete, die von hohen Hecken und farbenprächtigen Blumen gesäumt wurde. Dahinter erhob sich ein von Grünpflanzen fast verdecktes Haus, aber der Leibwächter führte ihn zu einer Balustrade, wo Marmorbänke zum Sitzen einluden und sich dem Betrachter ein atemberaubender Blick über die Stadt und die umliegenden Ländereien bot. Die Frau lehnte an der Balustrade und wandte sich bei seinem Nahen um.
»Willkommen, Krieger Ansa«, sagte sie mit leichter Verneigung und einladender Handbewegung. Sie lächelte, und im ersten Moment glaubte der entsetzte Ansa, sie habe keine Zähne. Bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass ihre Zähne schwarz lackiert waren. Es schien ihm absurd, aber nicht schlimmer als der Rest der Gesichtsbemalung. Die Augen waren schwarz umrandet, das Gesicht kalkweiß geschminkt. Sogar die Augenbrauen bedeckte die weiße Farbe, und sie waren mit roten Strichen mitten auf der Stirn nachgezeichnet. Runde rote Flecke schmückten die hohen Wangenknochen. Unter den Augen waren winzige blaue Tränen aufgemalt. Sie hatte purpurrote Lippen, und wenn sie blinzelte, leuchteten die Augenlider gelb auf.
Ansa legte die Fingerspitzen der rechten Hand auf die Stelle oberhalb des Herzens und sagte: »Ich werde dein Heim schützen.« Das war ehrlich gemeint. Gemäß der Sitte seines Volkes war es seine Pflicht, das Haus zu schützen, solange er dessen Gastlichkeit genoss.
Sie verneigte sich noch ein wenig tiefer. »Dein Leben liegt mir am Herzen. Dein Glück nicht weniger.« Sie bemerkte, wie er neugierig über die Balustrade spähte. »Manchmal vergesse ich, wie überwältigend der Ausblick ist. Bist du zum ersten Mal in der Stadt?«
»Ja. Die Schönheit meines Landes ist so groß, dass ich dachte, der Rest der Welt sei nicht damit zu vergleichen. Jetzt weiß ich, dass ich mich irrte. Diese Aussicht ist wahrhaft unbeschreiblich. Den ganzen Tag wanderte ich durch die Straßen, um einen guten Überblick zu bekommen, aber nie hätte ich mir träumen lassen, dass es so grandios sein würde.«
»Ich möchte nicht prahlen«, meinte die Frau, »aber in der ganzen Stadt gibt es kaum einen besseren Aussichtspunkt als diese Terrasse.«
»Davon bin ich überzeugt«, stimmte Ansa zu. »Wenn ich nach Norden schaue, glaube ich fast, bis in meine Heimat sehen zu können.«
»Nun, ganz so weit sieht man nicht, aber dennoch weiter als von jedem anderen Ort aus.«
Nachdem sie dieses Thema erschöpft hatten, wartete Ansa darauf, den Grund für die Einladung zu erfahren. Er kannte die örtlichen Sitten nicht und wollte keinen Anstoß durch eine voreilige Frage erregen.
»Bitte komm herein und genieße meine Gastfreundschaft«, sagte die Frau.
»Gerne.« Er folgte ihr zwischen den Pflanzen hindurch zum Haus. Ihr kostbares Seidengewand flatterte im leichten Windhauch. Es bestand aus zahlreichen Schichten, von denen jede für sich durchsichtig war. Übereinander verhüllten sie ihre Gestalt mit milchigem Schimmer. Bei jedem Schritt klimperten die schweren Armreifen. Die dicke Schminke machte es unmöglich, ihr Alter zu bestimmen, aber ihre Hände waren glatt und straff, und sie hatte den Gang einer jungen Frau. Der Leibwächter folgte ihnen in einigem Abstand.
Die Blumen, die anscheinend eine Leidenschaft der vornehmen Leute waren, erfüllten die Luft mit ihrem schweren Duft. In der Stadt hatte Ansa einen Markt gesehen, der nichts als Blumen verkaufte.
Verglichen mit den Hütten seiner Heimat kam ihm das Haus riesig vor, war aber keineswegs so groß wie die meisten Villen, die er während der vergangenen Stunde gesehen hatte.
Der alte Sklave öffnete die Haustür, die zu Ansas Erstaunen auf Rollen zur Seite glitt. Sie traten ein, und er staunte noch mehr über das seltsame bunte Licht im Inneren des
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