Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
froh um alles, was Louis’ Stand unterhöhlt. Wie auch Berlin. Wie auch Wien. Den Engländern wäre es nur recht, wenn wir König Louis stürzen und ihn durch König Philippe ersetzen würden.«
Der Abgeordnete Pétion hob schwerfällig den Kopf. Sein flächiges, hübsches Gesicht sah sorgenvoll drein. »Haben Sie uns hierhergelockt, um uns mit diesem Wissen zu belasten?«
»Nein«, sagte Camille. »Er erzählt es uns, weil er zu viel getrunken hat.«
»Es ist keine Last«, sage Charles-Alexis. »Es ist mehr oder weniger Allgemeinwissen. Fragen Sie Brissot.«
»Ich habe den größten Respekt vor Brissot«, betonte der Abgeordnete Pétion.
»So, haben Sie das?«, murmelte Laclos.
»Er macht auf mich nicht den Eindruck eines Menschen, der sich für solche Machenschaften hergeben würde.«
»Der gute Brissot«, sagte Laclos. »So vergeistigt, dass er denkt, das Geld in seiner Tasche zaubert sich selbst dort hinein. Oh, er weiß Bescheid – aber er tut so, als wüsste er von nichts. Er hütet sich nachzufragen. Wenn Sie ihn ordentlich erschrecken wollen, Camille, schleichen Sie sich an ihn an und flüstern Sie ihm ins Ohr ›William Augustus Miles‹.«
»Wenn ich etwas anmerken dürfte«, warf Pétion ein, »Brissot wirkt nicht wie jemand, der irgendwelche Zahlungen erhält. Ich sehe ihn immer nur in demselben Rock, und der ist völlig abgewetzt an den Ärmeln.«
»Oh, wir zahlen ihm nicht viel«, sagte Laclos. »Er wüsste gar nicht, was er damit anfangen sollte. Anders als gewisse andere Herren hier im Raum. Die durchaus einen Sinn für die erleseneren Genüsse des Lebens haben. Glauben Sie mir immer noch nicht, Pétion? Sagen Sie’s ihm, Camille.«
»Es stimmt wahrscheinlich«, sagte Camille. »Früher hat er Geld von der Polizei genommen. Hat kleine Schwätzchen mit seinen Freunden gehalten und ihre politischen Ansichten weitergemeldet.«
»Ich bin schockiert.« Nicht, dass man es Pétions Ton anhörte.
»Von was hätte er denn sonst leben sollen?«, fragte Laclos.
Charles-Alexis lachte. »Diese ganzen Schriftsteller und Schreiberlinge hätten genug gegeneinander in der Hand, um ihren Lebensunterhalt mit Erpressung zu bestreiten. Oder, Camille? Sie tun es nur nicht, weil sie Angst davor haben, ihrerseits erpresst zu werden.«
»Also, falls ich da in etwas hineingezogen werden soll …« Einen Moment lang wirkte Pétion stocknüchtern. Dann stützte er die Stirn in die Handfläche. »Wenn ich nur einen klaren Gedanken fassen könnte.«
»Klare Gedanken greifen hier nicht«, sagte Camille. »Probieren Sie’s mit einer anderen Sorte.«
Pétion sagte: »Es ist so schwierig, irgendeine Art von … von Integrität aufrechtzuerhalten.«
Laclos schenkte ihm nach. Camille sagte: »Ich will eine Zeitung gründen.«
»Und wen stellen Sie sich als Ihren Geldgeber vor?«, fragte Laclos glattzüngig. Er hörte die Leute gern eingestehen, dass sie das Geld des Herzogs brauchten.
»Der Herzog kann froh sein, dass ich sein Geld nehme«, sagte Camille, »wo es so viele andere Quellen gibt. Wir mögen den Herzog brauchen, aber um wie vieles mehr braucht der Herzog uns.«
»In der Masse mag er Sie brauchen«, antwortete Laclos im selben Ton. »Als Einzelne braucht er Sie nicht im Mindesten. Als Einzelne können Sie alle vom Pont-Neuf springen und jämmerlich ersaufen. Als Einzelne sind Sie ersetzbar.«
»Ach, glauben Sie?«
»Allerdings, Camille, das glaube ich. Sie haben eine grotesk überzogene Vorstellung von Ihrer Bedeutung für das große Ganze.«
Charles-Alexis beugte sich vor und legte Laclos die Hand auf den Arm. »Vorsichtig jetzt. Themenwechsel?« Laclos schluckte rebellisch. Stumm saß er da und lebte nur eine Spur auf, als de Sillery Anekdoten über seine Frau zum Besten gab. Félicité, so erzählte er, habe stapelweise Notizbücher unterm Ehebett liegen. Manchmal taste sie danach, während man auf ihr lag und im Schweiße seines Angesichts dem Höhepunkt entgegenstrebte. Ob dem Herzog das wohl ähnlich den Wind aus den Segeln genommen habe wie ihm?, überlegte er laut.
»Ihre Frau ist ein lästiges Weibsbild«, sagte Laclos. »Mirabeau will sie ja auch im Bett gehabt haben.«
»Anzunehmen«, sagte de Sillery, »anzunehmen. Da es ja keine gibt, die er nicht hatte. Aber heutzutage hält sie sich zurück. Sie arrangiert es lieber für andere. Wenn ich daran denke, wie … Mein Gott, wenn ich auf mein Leben zurückschaue …« Er versank kurz in Sinnen. »Hätte ich mir je träumen lassen, dass
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