Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
aussagt.«
»Ich werde einen Vermerk machen. Wissen Sie«, sagte der Bürgermeister milde, »vom literarischen Standpunkt ist das Pamphlet bewunderungswürdig.«
»Kommen Sie mir nicht mit Literatur«, sagte Lafayette. Er dachte an den Leichnam Berthiers, seine aus dem aufgeschlitzten Bauch quellenden Gedärme. Er beugte sich vor und stupste mit den Fingerspitzen gegen die Seiten. »Kennen Sie Camille Desmoulins?«, fragte er. »Haben Sie ihn schon einmal gesehen? Er ist eins von diesen Juristenknäblein. Hatte nie etwas Gefährlicheres in der Hand als einen Brieföffner.« Er schüttelte den Kopf. »Wo kommen sie nur alle her, diese Menschen? Sie sind Novizen. Sie waren nie im Krieg. Sie waren nie bei der Jagd. Sie haben noch nie ein Tier getötet, geschweige denn einen Menschen. Aber sie sind völlig versessen aufs Morden.«
»Solange sie es nicht selbst besorgen müssen, nehme ich an«, sagte der Bürgermeister. Er sah das herausgerissene Herz auf seinem Schreibtisch liegen, ein zuckender Klumpen Fleisch.
GUISE : »Wie soll ich noch erhobenen Hauptes auf die Straße gehen?«, fragte Jean-Nicolas rhetorisch. »Zumal er ja der Meinung zu sein scheint, dass ich stolz auf ihn zu sein habe. Er ist überall bekannt, schreibt er. Er diniert jeden Abend mit Aristokraten.«
»Hauptsache, er isst ordentlich«, sagte Mme Desmoulins. Aus ihrem eigenen Mund überraschte sie die Bemerkung. Sie war nie eine besorgte Mutter gewesen. Und Camille seinerseits nie ein großer Esser.
»Ich wage mich den Godards gar nicht mehr unter die Augen. Sie werden es alle gelesen haben. Immerhin wird Rose-Fleur jetzt froh sein, dass sie sie gezwungen haben, die Verlobung zu lösen.«
»Wie wenig du doch die Frauen kennst«, sagte seine Frau.
Rose-Fleur Godard hatte das Pamphlet auf ihrem Nachttisch liegen und zitierte zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten daraus, um M. Tarrieux de Tailland, ihren neuen Verlobten, zu ärgern.
D’Anton hatte das Pamphlet gelesen und es an Gabrielle weitergegeben. »Schau besser auch mal rein«, sagte er. »Es wird in aller Munde sein.«
Gabrielle las die Hälfte, dann hörte sie auf. Ihr Gedankengang war folgender: Sie musste mit Camille mehr oder weniger zusammenleben, da war es ihr lieber, wenn sie nicht zu viel über seine Ansichten wusste. Sie war sehr still neuerdings, tastete sich von einem Tag zum anderen wie eine Blinde in einem fremden Haus. Sie fragte Georges nie, was in den Sitzungen der Distriktsversammlung vorfiel. Wenn am Abendbrottisch neue Gesichter auftauchten, legte sie einfach ein paar Gedecke mehr auf und versuchte das Gespräch unverbindlich zu halten. Sie war wieder schwanger. Niemand erwartete viel von ihr. Niemand verlangte von ihr, dass sie sich den Kopf über die Belange der Nation zerbrach.
Der gefeierte Schriftsteller Mercier führte Camille in den Salons von Paris und Versailles ein. »In zwanzig Jahren«, prophezeite Mercier, »wird er unser führender Literat sein.« In zwanzig Jahren? Camille konnte keine zwanzig Minuten warten.
Seine Stimmung machte bei diesen Gesellschaften die wildesten Berg- und Talfahrten durch. Er schwebte auf Wolken, im nächsten Augenblick fühlte er sich wie ein Scharlatan. Die Gastgeberinnen, die sich doch so um ihn rissen, taten sicherheitshalber, als wüssten sie nicht, wer er sei. Der Hintergedanke war, dass es sich nach und nach herumsprechen sollte, unter der Hand, sodass die, die es wollten, gehen konnten, ohne einen Eklat zu verursachen. Aber haben mussten sie ihn alle; sie wollten den Kitzel, die Schockwirkung. Eine Feier ist erst dann eine Feier …
Seine Migräne war zurückgekehrt: zu viel Haarewerfen vielleicht. Die eine Konstante bei diesen Veranstaltungen war, dass er nichts zu sagen brauchte. Andere besorgten das Reden, um ihn herum. Über ihn.
Spät am Freitagabend bei der Comtesse de Beauharnais: lauter junge Dichter, die ihr den Hof machten, dazu faszinierend reiche Kreolen. Die luftigen Räume schimmerten: Silber, blassestes Blau. Fanny de Beauharnais nahm seinen Arm, besitzergreifend – welch Unterschied zu den Zeiten, als keiner ihn kennen mochte.
»Arthur Dillon«, flüsterte sie. »Sie sind sich noch nicht vorgestellt worden? Sohn des elften Vicomte Dillon? Vertritt Martinique in der Versammlung?« Ein Antippen, ein Wispern, Seide raschelte. »General Dillon? Hier habe ich etwas für Sie, das Ihre Neugier reizen dürfte.«
Dillon drehte sich um. Er war ein schöner Mann von knapp vierzig, fast ein
Weitere Kostenlose Bücher