Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
nehmen würden. Camille hatte recht: In der Öffentlichkeit, vor der richtigen Zuhörerschaft, schien Danton zu Großem bestimmt. Von nun an wollte Fabre ihn nötigen, seine Sicherheit über alles zu stellen.
Nacht. Immer noch Regen. Lafayettes Männer warten im Dunkeln, während er der Versammlung Rede und Antwort steht. Was ist der Grund für diese unziemliche militärische Demonstration?
In Lafayettes Tasche befindet sich ein verzweifelter Appell des Präsidenten ebendieser Versammlung, Lafayette möge mit seinen Leuten zum Schloss ziehen und den König retten. Am liebsten würde er die Hand in die Tasche stecken, um sich zu vergewissern, dass die Botschaft kein Traum war, aber das ist ihm hier im Saal nicht möglich, es würde ihm als respektlos ausgelegt. Was würde Washington tun?, fragt er sich – ohne Resultat. Also steht er da, bis zu den Schultern mit Schlamm bespritzt, und beantwortet diese seltsamen Fragen, so gut er kann. Mit zunehmend heiserer Stimme beschwört er die Versammlung: Kann nicht der König, um ihnen allen viel Ärger zu ersparen, zu einer kurzen Ansprache zugunsten der neuen Nationalfarben bewegt werden?
Etwas später lässt man ihn, der inzwischen am Rande der Erschöpfung ist, vor das Angesicht des Königs treten, wo er, immer noch schlammbespritzt, Seiner Majestät, Seiner Majestät Bruder dem Grafen der Provence, dem Erzbischof von Bordeaux und M. Necker Bericht erstattet. »Nun«, sagt der König, »Sie werden wohl Ihr Bestes getan haben.«
Dem General fehlen die Worte. In einer Geste, wie er sie nur von Gemälden her kennt, verschränkt er die Hände vor der Brust und setzt sein Leben als Pfand für das des Königs – nennt sich zudem den ergebenen Diener der Verfassung, und irgendjemand, irgendjemand, sagt er, hat eine große Summe Geld bezahlt.
Die Königin steht im Schatten und sieht ihn feindselig an.
Er geht hinaus, stellt Wachposten um den Palast und in der Stadt auf, starrt von einem Fenster hinab auf trüb flackernde Fackeln. Der Nachtwind trägt betrunkenes Singen heran. Balladen, so denkt er, über das Leben bei Hofe. Melancholie ergreift ihn, eine Sehnsucht nach vergangenem Heldentum. Er überprüft seine Wachen, begibt sich noch einmal zu den königlichen Gemächern. Er wird nicht eingelassen; die Familie hat sich für die Nacht zurückgezogen.
Gegen Morgen wirft er sich voll bekleidet auf sein Lager und schließt die Augen. General Morpheus, so nennen sie ihn später.
Sonnenaufgang. Trommelschläge. Ein kleines Tor ist unbewacht, Versäumnis oder Verrat; Schüsse fallen, die Leibgarde wird überwältigt, und binnen Minuten stecken die ersten Köpfe auf Piken. Der Mob dringt in den Palast ein. Mit Messern und Keulen bewaffnete Frauen stürmen durch die Galerien und wollen Blut sehen.
Der General erwacht. Bewegung jetzt, und zwar schnell. Ehe er ankommt, hat der Mob schon die Tür zum Salon de l’Œuil de Bœuf erreicht und ist von der Nationalgarde zurückgedrängt worden. »Gebt mir die Leber der Königin«, schreit eine Frau, »ich will Frikassee daraus kochen.« Lafayette (zu Fuß; um aufsatteln zu lassen, war nicht die Zeit) ist noch nicht im Palast, weil er in einer kreischenden Meute feststeckt, die schon Schlingen um die Hälse einzelner Leibgardisten gelegt hat. Die königliche Familie hat sich – mit knapper Not – im Salon einschließen können. Die königlichen Kinder weinen. Die Königin ist barfuß. Sie ist dem Tod um eine Türbreite entgangen.
Lafayette trifft ein. Sein Blick begegnet dem der barfüßigen Frau – der Frau, die ihn vom Hof vertrieben, die sich über seine Manieren beklagt und über seinen Tanzstil mokiert hat. Jetzt geht es um mehr als die Dienste des Höflings. Unter den Fenstern tobt die Menge. Lafayette zeigt auf den Balkon. »Es muss sein«, sagt er.
Der König tritt hinaus. Das Volk schreit: »Nach Paris!« Sie schwenken Piken und legen Gewehre an. Sie rufen nach der Königin.
Der General macht eine auffordernde Geste zu ihr hin. »Hören Sie nicht, was sie rufen?«, fragt sie. »Sehen Sie nicht die Gebärden, die sie machen?«
»Doch.« Lafayette zieht sich den Finger über die Kehle. »Aber entweder Sie gehen zu ihnen, oder man holt Sie. Nach Ihnen, Madame.«
Mit starrem Gesicht nimmt sie ihre Kinder bei der Hand und betritt den Balkon. »Keine Kinder!«, brüllt die Menge. Die Königin lässt die Hand des Dauphins fallen; er und seine Schwester werden zurück ins Zimmer gezerrt.
Marie Antoinette steht allein da.
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