Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
»Und uns um Abonnenten in der Provinz kümmern. Sie soll jeden Samstag erscheinen, wenn die Ereignisse es erfordern, auch öfter. Oktavformat, mit grauem Papiereinband. Brissot wird für uns schreiben, Fréron, Marat. Leserzuschriften ermutigen wir auch. Je beißender eine Theaterkritik, desto lieber ist sie uns. Der Kosmos mit all seinen Narrheiten, das ist es, was unser hyperkritisches kleines Journal abbilden soll.«
»Und werden Sie Geld damit verdienen?«, fragte Claude.
»Keinen Sous«, sagte Camille fröhlich. »Wahrscheinlich wird es nicht einmal die Kosten decken. Der Ladenpreis soll so niedrig sein wie nur möglich, damit so gut wie jeder es sich leisten kann.«
»Wovon wollen Sie dann den Druck bezahlen?«
Camille machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Wir haben unsere Quellen«, sagte er. »Der Ansatz ist im Grunde der, die Leute dafür bezahlen zu lassen, dass man schreibt, was man ohnehin zu schreiben vorhat.«
»Sie machen mir Angst«, sagte Claude. »Sie scheinen keinen Funken Moral im Leib zu haben.«
»Das Endergebnis wird gut sein. Ich werde nicht mehr als ein paar Spalten daran vergeuden müssen, meinen Geldgebern schönzutun, und mit dem Rest der Zeitung kann ich dem Abgeordneten Robespierre ein Forum verschaffen.«
Claude blickte voll böser Ahnungen um sich. Da stand der Abgeordnete Robespierre, ins Gespräch mit seiner Tochter Adèle vertieft. Ihre Unterhaltung wirkte vertraulich – geradezu intim. Aber immerhin, das musste er zugeben: Koppelte man die Reden des Abgeordneten Robespierre in der Manege von dem Menschen Robespierre ab, war nichts im Mindesten Alarmierendes an ihm. Eher im Gegenteil. Er war ein adretter, ruhiger junger Mann; er machte einen ausgeglichenen, sanften, verantwortungsbewussten Eindruck. Adèle brachte die Sprache andauernd auf ihn, offenbar hegte sie Gefühle für ihn. Geld hatte er keins, aber gut, man konnte nicht alles haben. Man musste schon froh um einen Schwiegersohn sein, der keine Blutbäder anzettelte.
Adèle hatte das Gespräch mit Robespierre behutsam ins Persönliche gelenkt. Worüber redeten sie? Über Lucile. »Es ist unheimlich«, erzählte sie ihm. »Heute – gut, heute war es anders, heute haben wir richtig gelacht.« Worüber, verriet sie ihm lieber nicht. »Aber in der Regel ist die Stimmung zum Fürchten. Lucile ist so starrköpfig, sie streitet die ganze Zeit. Und sie hat ihn sich fest in den Kopf gesetzt.«
»Da er heute bei Ihnen eingeladen ist, dachte ich, Ihr Vater würde seinen Widerstand vielleicht langsam aufgeben?«
»Das dachte ich auch. Aber sehen Sie ihn sich jetzt an.« Sie spähten hinüber zu Claude, wandten sich dann wieder ab und nickten sich bedrückt zu. »Trotzdem«, sagte Adèle, »letzten Endes werden sie ihren Willen durchsetzen. Menschen wie sie setzen sich durch. Was mir Sorgen macht: Wie wird ihre Ehe sein?«
»Das Komische ist«, sagte Robespierre, »alle scheinen Camille als solch ein Problem zu empfinden. Aber für mich ist er kein Problem. Er ist der beste Freund, den ich je hatte.«
»Wie nett, dass Sie das sagen.« Und ja, sie empfand es wirklich so. Wer wagte schon eine so schlichte Aussage in diesen verwickelten Zeiten? »Schauen Sie«, sagte sie. »Dort drüben. Camille und meine Mutter reden über uns.«
So war es – die Köpfe zusammengesteckt, ganz wie früher. »Fürs Ehestiften sind eigentlich alte Jungfern zuständig«, sagte Annette gerade.
»Kennen Sie keine, die Sie einschalten können? Ich möchte, dass alles seine Ordnung hat.«
»Aber er wird sie von hier fortbringen. Nach Artois.«
»Ja und? Auch nach Artois führen Straßen. Denken Sie, Paris steht auf einer Felsspitze, und bei Chaillot stürzen Sie hinab in den Höllenschlund? Außerdem glaube ich nicht, dass er jemals nach Hause zurückkehren wird.«
»Aber wenn die Verfassung verabschiedet ist und die Versammlung sich auflöst?«
»Ich fürchte, so wird es nicht kommen.«
Lucile beobachtete sie. Oh, Mutter, dachte sie, warum nicht noch ein bisschen näher? Warum wirfst du ihn nicht einfach auf den Teppich und fällst da über ihn her? Von der Kameradschaftlichkeit von vorhin war bei ihr nichts mehr übrig. Sie sehnte sich fort aus diesem Raum, fort von diesen plappernden Leuten. Sie flüchtete sich in den stillsten Winkel. Fréron folgte ihr.
Sie setzte sich, rang sich ein Lächeln ab. Er streckte einen besitzergreifenden Arm an ihrer Stuhllehne entlang: entspannt, plaudernd, den Blick in den Raum gerichtet, nicht auf sie.
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