Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Aber von Zeit zu Zeit senkten sich seine Lider für einen Moment. Schließlich sagte er, sanft, bedeutsam: »Immer noch Jungfrau, Lucile?«
Lucile wurde glühend rot. Sie senkte den Kopf, jeder Zoll die züchtige kleine Beamtentochter. »Ganz entschieden«, sagte sie.
»Das sieht Camille gar nicht ähnlich.«
»Er spart mich auf, bis wir verheiratet sind.«
»Da ist er natürlich fein raus. Er hat andere – Ventile, nicht wahr?«
»Darüber will ich nichts wissen«, sagte sie.
»Sehr schlau von Ihnen. Aber Sie sind inzwischen ein großes Mädchen. Beginnen da die Wonnen der Jungfernschaft nicht langsam zu verblassen?«
»Was für eine Abhilfe schlagen Sie vor, Karnickel? Welche Möglichkeiten stehen mir aus Ihrer Sicht offen?«
»Oh, ich weiß, dass Sie sich ab und zu sehen. Ich weiß, dass Sie manchmal aus dem Haus schlüpfen. Ich dachte, vielleicht bei Danton. Er und Gabrielle sind nicht übermäßig sittenstreng.«
Lucile streifte ihn mit einem Blick, der so steinern war wie überhaupt nur möglich. Sie hätte sich auf dieses Gespräch niemals eingelassen – wenn es keine so schmerzliche Erleichterung gewesen wäre, mit irgendjemandem über ihre Gefühle zu sprechen, und sei es auch mit einem Peiniger. Wozu musste er Gabrielle in den Schmutz ziehen? Karnickel macht vor nichts Halt, entschied sie. Er merkte selbst, dass er zu weit gegangen war; sie sah es ihm am Gesicht an. Allein schon die Vorstellung, dachte sie – Gabrielle, können wir morgen vorbeikommen und euer Bett ausborgen? Gabrielle würde tot umfallen.
Der Gedanke an das Dantonsche Ehebett, sie muss es zugeben, ruft sehr seltsame Empfindungen in ihr wach. Unsägliche Empfindungen, um genau zu sein. Wenn es so weit ist (schießt es ihr durch den Kopf), dann wird Camille ihr nicht wehtun, aber Danton – und ihr Herz macht einen Satz, das Blut steigt ihr noch heftiger ins Gesicht, weil sie nicht weiß, wo dieser Gedanke herkommt, sie hat nicht darum gebeten, sie wollte ihn nicht denken, niemals!
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragt Fréron.
»Sie sollten sich schämen«, fährt sie ihn an. Dennoch kann sie das Bild nicht abschütteln: diese kampflustige Energie, diese riesigen harten Hände, dieses Gewicht. Eine Frau muss Gott dafür danken, sagt sie sich, dass ihrer Fantasie Grenzen gesetzt sind.
Die Zeitung wechselte mehrmals den Namen. Sie begann als der Courrier du Brabant – denn jenseits der Grenze hatten sie auch Revolution, und Camille wollte das nicht unerwähnt lassen. Dann wurden die Révolutions de France et du Brabant daraus und schließlich einfach die Révolutions de France . Marat machte es nicht anders, ständig änderte er seinen Titel, aus einer Vielzahl dubioser Gründe. Erst hatte sein Blatt Publiciste Parisien geheißen, jetzt war es L’ami du peuple . Ein Name von geradezu lächerlicher Blauäugigkeit, fanden sie bei den Révolutions ; es klang wie eine Arznei gegen Tripper.
Alle gründeten sie Zeitungen, selbst Leute, die, so Camille, weder schreiben noch denken konnten. Die Révolutions hoben sich heraus, sie erregten Aufsehen; sie führten einen festen Rhythmus ein. Dass der Mitarbeiterstab klein, behelfsmäßig und reichlich chaotisch war, störte nicht: Zur Not bestritt Camille eine ganze Ausgabe im Alleingang. Was sind schon zweiunddreißig Seiten (im Oktavformat) für einen Mann, der so viel zu sagen hat?
Montags und dienstags fingen sie früh an, um die neue Ausgabe vorzubereiten. Bis Mittwoch war der größte Teil druckfertig. Mittwochs trafen außerdem die Vorladungen wegen der Verleumdungen vom Samstag ein – wobei es manchmal auch vorkam, dass die Opfer ihre Anwälte am Sonntagmorgen vom Land zurückzitierten, damit die Vorladung schon am Dienstag zuging. Ein, zwei Aufforderungen zum Duell kamen unter der Woche meist ebenfalls.
Donnerstag war Drucktag. Sie nahmen ihre letzten Änderungen vor, dann rannte ein Gehilfe damit zum Drucker Laffray am Quai des Augustins. Bis zum Mittag standen dann M. Laffray und der Vertreiber, M. Garnery, händeringend bei ihnen. Wollen Sie, dass die Druckmaschinen beschlagnahmt werden, wollen Sie, dass wir alle im Gefängnis landen? Nehmen Sie Platz, trinken Sie ein Glas, sagte Camille. Er genehmigte kaum je Änderungen, eigentlich nie. Und sie wussten, je größer das Risiko, desto mehr Exemplare würden verkauft.
René Hébert kam in die Redaktion, rosig-feist, unsympathisch. Er machte ständig anzügliche Scherze über Camilles Privatleben; kein Satz war frei von
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