Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
– keine Spur von Ratten bisher, und zumindest war es kühl –, aber er wünschte sich trotzdem weit weg. Er begriff nicht, wie er hierherkam – er hatte sich doch nur um die Petition gekümmert. Er und Louise hatten eine Zeitung herauszugeben; der Mercure Nationale musste erscheinen, koste es, was es wolle. Vielleicht griff ihr Camille ja unter die Arme. Darum bitten würde sie ihn niemals.
Gütiger Himmel, was war das? Es klang, als träten Stiefel mit Stahlkappen auf eine Tür ein. Noch mehr Stiefel, trampelnd, dann eine erschreckend nahe Stimme: »Die haben Messer, die Drecksäcke!« Neuerliches Stiefelgetrampel und eine monotone, betrunkene Stimme, die ein paar Takte von einem populären Fabre-Lied sang, stecken blieb, wieder von vorn anfing. Die Stahlkappenstiefel direkt vor seiner Tür, dann wenige Sekunden der Stille, gefolgt von dem Ruf: An die Laterne!
François Robert schauderte es. Laternenanwalt, du solltest hier sitzen, dachte er.
»Tod der Österreichermetze«, lallte der besoffene Sänger. »Knüpft Louis Capets Buhlerin auf. Knüpft die Hure von Babylon auf, schneidet ihr die Zitzen ab.«
Ein schauriges Kichern hallte die Wände entlang. Eine junge Stimme lachte, hoch, mit einem Hauch von Hysterie darin. »Es lebe der Volksfreund.«
Dann Worte, die er nicht verstehen konnte, dann jemand gleich vor seiner Tür: »Er sagt, er hat siebzehn Gefangene und weiß nicht, wo er mit ihnen hin soll.«
»Schau, schau«, sagte die junge Stimme. »Das wird lustiger und lustiger.«
Sekunden später flutete orangeroter Fackelschein in seine Zelle. Taumelnd kam er auf die Füße. Mehrere Köpfe erschienen in der Türöffnung; zu seiner Erleichterung saßen sie noch auf ihren Hälsen. »Du kannst gehen.«
»Ich darf hier raus?«
»Ja, ja.« Eine nüchterne, gereizte Stimme. »Ich habe über hundert Personen unterzubringen. Leute, die ohne triftigen Grund auf den Straßen herumlungern. Zur Not kommen wir wieder und holen dich.«
»Was hast du überhaupt angestellt?«, wollte der Junge mit der hohen Stimme wissen.
»Ein Rechtsgelehrter«, erklärte der mit den Stahlkappen. Er war auch der Betrunkene. »Stimmt’s, Professor? Ganz dicker Freund von mir.« Er legte Robert den Arm um die Schulter und lehnte sich an ihn, blies ihm seinen säuerlichen Atem ins Gesicht. »Grüß Danton von mir. Danton ist richtig.«
»Wenn Sie es sagen«, murmelte Robert.
»Ich hab ihn getroffen«, verkündete der mit den Stahlkappen seinen Kollegen. »Und er hat gesagt: ›Teufel auch, kennst du dich in den Gefängnissen aus! Wenn ich erst der bin, der hier in der Stadt das Sagen hat, dann bist du der, der sämtliche Adlige zusammentreibt und ihnen die Köpfe abhackt. Und ich zahl dir auch gutes Geld dafür, weil es ein Dienst an der Allgemeinheit ist.‹«
»Geh weiter«, sagte der Junge. »Danton hat nie im Leben mit dir geredet, du Saufkopf. Der Henker ist M. Sanson. Sein Vater war schon Henker, und davor war es sein Großvater. Und dem willst du den Posten stehlen? Nie im Leben hat Danton das zu dir gesagt.«
François Robert war wieder daheim. Die Kaffeetasse in seiner Hand wollte nicht stillhalten, immerfort klirrte sie gegen die Untertasse. »Wer hätte gedacht, dass mich das so mitnimmt?« Er versuchte zu lächeln, aber seine Züge verzerrten sich nur. »Das Freikommen war um kein Haar besser als die Verhaftung. Louise, wir vergessen die wahre Natur des Volkes, seine Dummheit, seine Rohheit, seine voreiligen Schlüsse.«
Sie dachte an Camille, damals vor zwei Jahren … Auf den Straßen die Helden der Bastille, drinnen der Kaffee, der an ihrem Bett kalt wurde … Dieses Nachflackern der Panik in seinen seltsamen, weit auseinanderstehenden Augen … »Die Jakobiner haben sich gespalten«, berichtete sie. »Die Rechte ist geschlossen gegangen. Sie gründen jetzt ihren eigenen Club. Alle Freunde von Lafayette sind weg, alle, die Mirabeau unterstützt haben. Pétion ist noch da, Buzot, Robespierre – eine Handvoll.«
»Was sagt Robespierre?«
»Dass er froh ist, dass die Differenzen jetzt offenliegen. Dass er von vorn anfangen will, diesmal mit Patrioten.«
Sie nahm ihm die Tasse aus der Hand und zog seinen Kopf in ihren Schoß, streichelte sein Haar und seinen Nacken. »Robespierre wird aufs Marsfeld gehen«, sagte sie. »Er wird sich zeigen, da kannst du sicher sein. Aber sie, Dantons Haufen, von denen geht keiner.«
»Aber wer präsentiert dann die Petition? Wer vertritt die Cordeliers?«
O nein, dachte
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