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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Leichtgläubigen wird man M. Laclos tot im Rinnstein finden. Verkehrsunfall, wird es heißen. Zwei Monate später liegt König Philippe tot im Rinnstein – eine veritable Pechsträhne. Und da Philippes Erben und Rechtsnachfolger zufällig ebenfalls verblichen sind: Ende der Monarchie, vivat M. Danton.«
    »Was für eine blühende Fantasie Sie haben.«
    »Ja, wer nur genug trinkt, der sieht irgendwann Schlangen, heißt es«, sagte Laclos. »Otterngezücht, Lindwürmer und dergleichen. Wären Sie bereit, Danton? Würden Sie es mit mir wagen?«
    Danton antwortete nicht.
    »Freilich täten Sie’s.« Laclos breitete die Arme aus, schwankte. »Ruhm und Ehre.« Er ließ die Arme fallen. »Und dann bringen Sie mich wahrscheinlich um. Ich riskiere es. Alles um einer Fußnote in den Geschichtsbüchern willen. Mir graut vor der Vergessenheit, verstehen Sie? Vor dem kargen, glanzlosen Alter, dem kümmerlichen Ende des Mittelmaßes, sans everything, wie der englische Barde schrieb. ›Da geht der arme alte Laclos, er schrieb ein Buch einst, den Titel weiß ich nicht mehr.‹ Ich verabschiede mich jetzt«, sagte er würdevoll. Er wankte zur Tür und wäre beinahe mit Gabrielle zusammengestoßen. »Niedliches kleines Frauchen«, murmelte er in sich hinein. Sie hörten ihn die Treppe hinuntertorkeln.
    »Ich dachte, das wollt ihr sicher wissen«, sagte sie. »Sie sind wieder da.«
    »Die Capets?«, fragte Camille.
    »Die königliche Familie, ja.« Sie ging hinaus und schloss leise die Tür hinter sich. Sie lauschten. Hitze und Schweigen lasteten auf der Stadt.
    »Ich habe etwas übrig für Krisen«, bemerkte Camille. Eine Pause. Danton sah ihn nicht an, sondern durch ihn hindurch. »Darf ich dich an deine republikanischen Verlautbarungen der letzten Zeit erinnern? Ich habe mir während Laclos’ Tirade so meine Gedanken gemacht – und so leid es mir tut, Philippe hat ausgedient. Benutzt ihn jetzt noch für unsere Zwecke, aber danach muss er weg.«
    »Also, du bist so kaltblütig wie …« Danton brach ab. Ihm fiel nichts ein, was so kaltblütig wie Camille war, der sich hier das Haar aus dem Gesicht schnippte und sagte: Benutzt ihn jetzt noch, aber danach muss er weg. »Ist dir dieses Schnippen eigentlich angeboren«, fragte er, »oder hast du dir das von einer deiner Nutten abgeschaut?«
    »Setz erst Louis ab, dann können wir’s ausfechten.«
    »Wir könnten alles verspielen«, sagte Danton. Aber er hatte die Sache zu Ende durchdacht; wie immer, wenn er sich einen scheinbar irrationalen Ausfall der Häme und Aggression gestattete, arbeitete sein Verstand besonders präzise und klar. Jetzt war sein Entschluss gefasst. Er würde es wagen.
    Die königliche Reisegesellschaft kam bis Varennes; hundertfünfundsechzig Meilen waren es vom stümperhaften Beginn ihrer Flucht bis zu deren unrühmlichem Ende. Sechstausend Menschen umringten die beiden Kutschen auf der ersten Etappe ihrer Heimfahrt. Einen Tag später wurden sie um drei Abgeordnete der Nationalversammlung verstärkt. Barnave und Pétion saßen mit der Familie in der Berline. Der kleine Dauphin freundete sich mit Barnave an. Er schwatzte mit ihm und spielte mit den Knöpfen an seinem Rock, deren Inschrift er ablas: »Frei leben – oder sterben.« »Wir müssen Haltung bewahren«, wiederholte die Königin ein ums andere Mal.
    Am Ende der Reise war über die Zukunft des Abgeordneten Barnave entschieden: Er würde die Nachfolge des toten Mirabeau als heimlicher Berater des Hofes antreten. Pétion war der Meinung, die rundliche kleine Schwester des Königs, Mme Elisabeth, habe sich in ihn verliebt; in der Tat war sie auf dem langen Weg mit dem Kopf an seiner Schulter eingeschlafen. Pétion sprach monatelang von nichts anderem.
    An einem brütend heißen Tag fuhr der König wieder in Paris ein. Eine riesige, schweigende Menge säumte seinen Weg. Die Berline war mit beißendem Straßenstaub gefüllt, und durch eines der Fenster sah man das zerfurchte, abgespannte Gesicht einer grauhaarigen Frau: Marie Antoinette. Sie kamen in den Tuilerien an. Als sie im Palast waren, stellte Lafayette seine Wachen auf und eilte zum König. »Was befehlen Seine Majestät für heute?«
    »Wie mir scheint«, sagte Ludwig, »stehe ich mehr unter Ihrem Befehl als Sie unter meinem.«
    Während ihrer Fahrt durch die Stadt hatten die Soldaten, die am Straßenrand Spalier standen, ihre Gewehre mit dem Kolben nach oben präsentiert wie bei einem Leichenbegängnis – was es ja gewissermaßen auch

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