Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
einem Massaker.«
Da sprach der Journalist, sie wussten es alle. Das wahre Leben bot keine so sauberen Begrifflichkeiten. Aber so sollte es von da an genannt werden: das Massaker auf dem Marsfeld.
In Danton schoss eine gewaltige Wut auf. Beim nächsten Mal, dachte er, die Taktik des Stiers, die Taktik des Löwen. Aber vorerst die Taktik der Ratte, die sich duckt und flieht.
SPÄTER NACHMITTAG : Angélique Charpentier ging durch ihren Garten in Fontenay-sous-Bois, einen Blumenkorb überm Arm. Ihre Bewegungen waren gemessen, aber eigentlich hätte sie sich am liebsten auf die Schnecken im Salatbeet gestürzt und sie in Stücke gehackt. Hitze, die Luft mit Unwettern aufgeladen: Wir sind nicht wir selbst.
»Angélique?« Ein schmaler schwarzer Umriss gegen die Sonne.
»Camille? Was machen Sie hier?«
»Können wir ins Haus gehen? Ich werde nicht Ihr einziger Besuch bleiben. Das freut Sie vielleicht nicht, aber Georges-Jacques hat entschieden, dass wir hier am sichersten sind. Es hat ein Massaker gegeben. Lafayette hat auf die Menschen geschossen, die den Jahrestag der Bastille feiern wollten.«
»Ist Georges etwas passiert?«
»Georges doch nicht. Aber die Nationalgarde fahndet nach uns.«
»Werden sie hier nicht auch suchen?«
»Vorerst noch nicht. Die ganze Stadt ist in Aufruhr.«
Angélique nahm seinen Arm. Das ist nicht das Leben, das ich mir vorgestellt habe, dachte sie. Das ist nicht das Leben, das ich für Gabrielle wollte.
Während sie auf das Haus zueilten, zog sie sich das weiße Leinentuch vom Kopf, mit dem sie ihren Nacken vor der Sonne schützte. Sie versuchte ihre Haare zurechtzustreichen. Wie viele sie wohl zum Abendbrot sein würden? Die Leute brauchten schließlich zu essen … Die Stadt hätte tausend Meilen weit fort sein können. Es war die Zeit am Nachmittag, wenn die Vögel schweigen; schwerer Blütenduft hing über dem Garten.
Ihr Mann François kam ihnen mit besorgter Miene entgegen. Trotz der Hitze sah er aus wie immer, elegant und adrett. Er trug nur sein Hemd, aber seine Halsbinde war sauber geknotet, und auf seinem Kopf saß die runde braune Perücke; man konnte ihn sich fast mit einer Serviette überm Arm vorstellen. »Camille?«, sagte er.
Einen Augenblick lang fühlte Camille sich um ein halbes Jahrzehnt zurückversetzt. Oh, wieder in der hallenden Kühle des Café de l’École zu sitzen, vor sich einen starken Kaffee aus der Hand einer drallen Angélique, und Maître Vinot zuzuhören, wie er sich über seinen Lebensplan ausließ. »Verdammt«, murmelte er. »Ich weiß nicht, wo das noch hinführen soll.«
Einer nach dem anderen trafen sie im Lauf des Nachmittags ein. Camille hatte offenbar einen recht großen Vorsprung gehabt, denn als Danton ankam, saß er schon längst mit einem Glas Limonade auf der Terrasse und las das Neue Testament.
Fabre meldete, dass François Robert lebend gesichtet worden sei. Legendre berichtete von Patrouillen, die den Cordeliers-Distrikt durchkämmten, von zertrümmerten Druckerpressen und dem Berg Rinderhälften, den die Plünderer im Kielwasser der Patrouillen aus seinem Laden getragen hatten. »Ob ihr’s glaubt oder nicht«, sagte er, »es gibt Tage, an denen meine Liebe zum souveränen Volk deutlich abflaut.« Er hatte mit ansehen müssen, wie ein junger Journalist, Prudhomme, von Nationalgardisten verprügelt und in jammervoller Verfassung fortgeschleppt worden war. »Ich hätte mich eingeschaltet. Aber du hast ja gesagt, wir sollen kein Risiko eingehen, oder, Danton?« Sein Blick, hundegleich, bettelte um Absolution.
Danton nickte kurz, sparte sich den Kommentar. »Was wollten sie mit Prudhomme?«
»Nun ja«, erklärte Fabre, »in der Hitze des Gefechts dachten sie, sie hätten Camille erwischt.«
»Für Camille hätte ich mich eingeschaltet«, betonte Legendre.
Camille blickte vom Matthäusevangelium auf. »Den Teufel hättest du.«
Gabrielle, bleich und verängstigt, erschien mit genügend Gepäck, um einer Belagerung standzuhalten. »In die Küche mit dir.« Angélique riss ihr die Taschen aus den Händen. »Wir müssen Gemüse schneiden. Du hast fünf Minuten, um dich frischzumachen, dann meldest du dich gehorsamst zum Dienst.« Jetzt war Härte geboten, sagte sie zu sich. Spann sie ein, zwing sie zum Reden.
Aber Gabrielle war nicht in der Verfassung, auch nur Bohnen zu putzen. Sie setzte sich an den Küchentisch, Antoine auf dem Schoß, und brach in haltloses Schluchzen aus. »Er ist doch in Sicherheit«, sagte ihre Mutter.
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