Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
er hinzu, »sogar Metzger.«
Er beabsichtigte keine Ironie. Legendre gewann seinen Sitz am nächsten Tag mit sicherem Vorsprung. Marat ebenso.
Sein Protégé Antoine Saint-Just würde endlich nach Paris kommen, und der Herzog von Orleans würde neben den Männern sitzen, deren Zahlherr und Gönner er einmal gewesen war. Auf seiner Suche nach einem Nachnamen hatte der Herzog auf den Beinamen zurückgegriffen, den man ihm halb im Spott verpasst hatte; er hieß nun Philippe Égalité.
Am 8. September dann eine leichte Störung: »So ein verkopfter brissotistischer Schnösel«, sagte Legendre, »dieser Kersaint, hat so viele Stimmen gesammelt, dass Camille beim ersten Wahlgang wahrscheinlich nicht durchkommt. Was machen wir?«
»Keine Bange«, sagte Danton beruhigend. »Lieber den verkopften Schnösel, den man kennt, hmm?« Er hatte schon damit gerechnet, dass die Wahlmänner die Angelegenheiten der Nation nicht ohne Weiteres in Camilles Hände legen würden. Und als verkopft hätte er Kersaint auch nicht unbedingt bezeichnet; er war ein Marineoffizier aus der Bretagne und hatte bereits in der letzten Versammlung gesessen.
Robespierre sagte: »Bürger Legendre, wenn es eine Verschwörung gibt, um Camilles Wahl zu verhindern, dann werde ich dagegen vorgehen.«
»Aber das …«, setzte Legendre an. Sein Einwand blieb unvollendet, aber ihm war bänglich zumute. Er hatte nichts von einer Verschwörung gesagt, aber der Bürger Robespierre hatte diese reflexartige Reaktion entwickelt. »Was haben Sie vor?«, fragte er.
»Ich werde anregen, dass es bis zum Ende der Wahlen täglich eine einstündige öffentliche Debatte über die Verdienste der Kandidaten geben soll.«
»Ach, eine Debatte«, sagte Legendre erleichtert. Einen Augenblick lang hatte er befürchtet, Robespierre könnte gegen Kersaint einen Haftbefehl erlassen wollen. Letzte Woche hatte man gewusst, woran man bei ihm war; diese Woche wusste man das nicht mehr. Auf gewisse Weise verschaffte es ihm mehr Respekt.
Danton grinste. »Dann schreiben Sie besser eine Liste mit Camilles Verdiensten und lassen sie herumgehen. Wir sind nicht alle so erfinderisch wie Sie. Ich wüsste nicht, wie man Camille rechtfertigen sollte, außer unter der Rubrik ›außerordentliche Begabung‹.«
»Wollen Sie, dass er gewählt wird?«, fragte Robespierre.
»Natürlich, ich will doch während der öden Debatten jemanden zum Reden haben.«
»Dann sitzen Sie nicht da und lachen.«
Camille sagte: »Müsst ihr unbedingt über mich reden, als wäre ich nicht da?«
Beim nächsten Wahlgang musste der Bürger Kersaint, der zuvor 230 Stimmen bekommen hatte, zu seinem Befremden feststellen, dass sie auf sechsunddreißig geschrumpft waren. Robespierre zuckte die Achseln. »Man leistet Überzeugungsarbeit, das ist alles. Gratuliere, mein Lieber.« Aus irgendeinem Grund stand ihm plötzlich Camille als Zwölf- oder Dreizehnjähriger vor Augen: ein launisches, wildes Kind, das aus heiterem Himmel losweinte, dass die Tränen nur so spritzten.
Unterdessen marschieren die Freiwilligen zu Tausenden singend an die Front. Am Ende ihrer Bajonette haben sie Würste und Brotlaibe stecken. Mädchen überschütten sie mit Küssen und Blumen. Wer erinnert sich noch an früher, wenn der Rekrutierungsoffizier ins Dorf kam? Jetzt versteckt sich keiner. Die Leute kratzen Salpeter aus ihren Kellerwänden, um Schießpulver herzustellen. Die Frauen bringen ihre Trauringe zum Schatzamt, damit sie eingeschmolzen werden können. Natürlich werden bei der Gelegenheit auch viele von ihnen die neuen Gesetze nutzen und sich scheiden lassen.
»Piken?«, fragte Camille.
»Piken«, bestätigte Fabre mürrisch.
»Ich will ja nicht legalistisch erscheinen und erst recht nicht erbsenzählerisch, aber fällt die Anschaffung von Piken wirklich unter die Aufgaben des Justizministers? Weiß Georges-Jacques, dass wir eine Rechnung für Piken haben?«
»Also komm, soll ich wegen jeder kleinen Ausgabe zum Minister rennen?«
»Wenn man es alles zusammenrechnet« – Camille warf sein Haar nach hinten –, »haben wir in den letzten Wochen ein ziemliches Vermögen ausgegeben. Ich meine, jetzt, wo wir alle Abgeordnete sind, werden wir demnächst neue Minister haben, die fragen werden, wo das ganze Geld hingekommen ist. Und das macht mir ein mulmiges Gefühl, denn ich habe ehrlich gesagt nicht die leiseste Ahnung. Du zufällig?«
»Alles, was problematisch ist«, sagte Fabre, »verbuchst du einfach unter
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