Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
nicht vernunftgesteuert« – man denke nur an Dantons Frauen –, »sie bringen denkerisch nichts voran. Sie würden sich einfach nur von ihren Männern leiten lassen.«
»Oder von ihren Liebhabern.«
»In Ihren Kreisen vielleicht.«
»Ich werde Camille Ihre Argumente mitteilen.«
»Bitte sparen Sie sich die Mühe. Ich habe keinerlei Ehrgeiz, mich auf eine Debatte mit ihm einzulassen, weder aus erster noch aus zweiter Hand.«
»Er wird am Boden zerstört sein, dass auch das ihn nicht in Ihrer Achtung steigen lässt.«
»Für wie dumm halten Sie mich eigentlich?«, fragte sie scharf.
Er zog eine Braue hoch, wie jedes Mal, wenn es ihm gelungen war, sie aus der Reserve zu locken. Tag um Tag beobachtete er sie, registrierte ihre Launen, ihr Mienenspiel.
Geheimhaltung also. Doch Aufrichtigkeit tat ebenso not, das gab auch François-Léonard zu. »Wir sind beide verheiratet, und mir ist klar, dass es undenkbar sein muss – gerade für Sie –, in irgendeiner Weise gegen unsere Ehegelübde zu verstoßen.«
»Aber es fühlt sich so richtig an«, begehrte sie auf. »Mein Instinkt sagt mir, dass es nicht unrecht sein kann.«
»Ihr Instinkt?« Er blickte auf. »Manon, mit dem Wort müssen wir aufpassen. Sie wissen, dass wir kein unumschränktes Recht auf persönliches Glück haben … Jedenfalls müssen wir gewissenhaft prüfen, worin unser Glück tatsächlich liegt … Wir haben nicht das Recht dazu, unsere eigenen Wünsche auf Kosten anderer durchzusetzen.« Ihre Finger blieben stetig auf seiner Schulter ruhen, aber ihr Gesicht war nicht überzeugt, ihr Gesicht war … gierig. »Manon?«, sagte er. »Haben Sie nicht Cicero gelesen? ›De officiis‹?«
Hatte sie Cicero gelesen? Wusste sie um ihre Pflicht? »Was für eine Frage«, stöhnte sie auf. »Was habe ich nicht gelesen? Natürlich weiß ich, dass man seine Verpflichtungen gegeneinander abwägen muss, dass niemand glücklich sein darf, wenn andere dadurch leiden. Glauben Sie, das hätte ich nicht alles schon viele Male durchdacht?«
»Sicher.« Er schaute zerknirscht drein. »Ich habe Sie unterschätzt.«
»Wissen Sie, wenn ich einen Fehler habe« – sie hielt den Bruchteil einer Sekunde inne, damit er widersprechen konnte –, »wenn ich einen Fehler habe, dann meine Geradlinigkeit. Ich ertrage keine Heuchelei, ich ertrage diese Höflichkeit nicht, die doch nur Unaufrichtigkeit ist – ich muss mit Roland sprechen.«
»Mit ihm sprechen? Worüber?«
Gute Frage. Es war nichts zwischen ihnen geschehen – nicht in dem Sinn, der für Danton und seine Freunde als Einziges zählte. (Im Geist sah sie Dantons Wurstfinger an Lucile Desmoulins’ kleinen Brüsten herumkneten.) Nur seine hastige Erklärung, ihre hastige Antwort; aber seither hatte er sie kaum berührt, kaum ihre Hand gestreift.
»Mein Liebster«, – sie senkte den Kopf –, »das hier geht so unermesslich weit über das Physische hinaus … Wie Sie ja sagen, auf der Ebene ist zwischen uns nichts denkbar. Und natürlich muss ich Roland unterstützen – dies sind Krisenzeiten, ich bin seine Frau, ich kann ihn nicht im Stich lassen. Und dennoch – es darf nicht sein, dass er im Unklaren über die wahre Natur unserer Beziehung bleibt. So verlangt es mein Charakter, verstehen Sie doch.«
Er sah auf. Er runzelte die Stirn. »Aber, Manon, was wollen Sie Ihrem Mann denn sagen? Es ist nichts vorgefallen. Wir haben lediglich über unsere Gefühle gesprochen.«
»Ja, wir haben über sie gesprochen! Roland hat nie zu mir über seine Gefühle gesprochen – aber ich achte sie dennoch, ich weiß, er hat Gefühle, jeder Mensch hat Gefühle. Ich muss ihm sagen: Folgendes ist die Wahrheit, ich bin dem Mann begegnet, den ich zu lieben bestimmt bin, unsere Situation ist so und so, ich werde dir seinen Namen nicht nennen, nichts ist vorgefallen, nichts wird vorfallen, ich werde dir eine treue Ehefrau bleiben. Er wird mich verstehen, er wird wissen, dass mein Herz einem anderen gehört.«
Buzot senkte den Blick. »Sie sind unerbittlich, Manon. Hat es je eine Frau wie Sie gegeben?«
Wohl kaum, dachte sie. Laut sagte sie: »Ich kann Roland nicht betrügen. Ich kann ihn nicht verlassen. Ihnen mag scheinen, mein Körper sei für die Lust bestimmt. Aber es gibt Wichtigeres im Leben.« Dennoch dachte sie an Buzots Hände, während sie das sagte, recht kräftige Hände für einen so eleganten, gepflegten Mann. Ihr Busen war nicht wie die Brüste der kleinen Desmoulins; ihr Busen hatte ein Kind genährt, es war
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