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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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er durchblicken, wolle die Septembermassaker am liebsten wiederholen. Die Gironde quittierte die Nennung des Namens mit Stöhnen und Schmährufen.
    Robespierre erhob sich von seinem Sitz auf dem Berg. Er steuerte aufs Rednerpult zu, den kleinen Kopf wie zum Angriff gesenkt. Gaudet, der Girondist, der dem Konvent vorsaß, wollte ihm das Wort verbieten. Durch den Tumult tönte Dantons Stimme: »Lasst ihn sprechen. Und wenn er fertig ist, bin ich an der Reihe. Höchste Zeit, dass hier ein paar Dinge klargestellt werden.«
    VERGNIAUD [mit einem Blick auf Danton] : Davor hatte ich Angst … vor einem Bündnis zwischen den beiden. Ich befürchte so etwas schon seit einiger Zeit.
    GAUDET [neben ihm] : Mit Danton lässt sich verhandeln.
    VERGNIAUD : Bis zu einem gewissen Punkt.
    GAUDET : Bis die Mittel versiegen.
    VERGNIAUD : So einfach ist das nicht. Gott helfe Ihnen, wenn Sie nicht begreifen, dass die Dinge komplizierter liegen.
    GAUDET : Robespierre hat das Wort.
    VERGNIAUD : Wie üblich. [Er schließt die Augen; sein blasses, volles Gesicht legt sich in aufmerksame Falten.] Der Mann kann nicht reden.
    GAUDET : Nicht in Ihrem Sinne.
    VERGNIAUD : Er hat keinen Stil.
    GAUDET : Das Volk findet nichts auszusetzen an seinem Stil.
    VERGNIAUD : Gott, ja, das Volk. Das VOLK .
    Robespierre war ungewöhnlich zornig. Von Roland angeklagt zu werden, diesem senilen Alten mit seiner Dirne von Frau und den immergleichen genuschelten Andeutungen über die Buchführung in Dantons Ministerium! Das im Verein mit den Nadelstichen ihrer Unterstellungen – Flüstern hinter vorgehaltener Hand, einzelne Stimmen auf der Straße, die September ! rufen und weitergehen. Danton hört sie auch. Manchmal zeigt es sich auf seinem Gesicht.
    Robespierres Stimme erhob sich ätzend über das leise Murren, das den Saal erfüllte: »Nicht einer von Ihnen wagt es, mich offen zu beschuldigen.«
    Er machte eine Pause, eine kurze Stille, in der die Girondisten über ihre Feigheit nachsinnen konnten.
    » Ich beschuldige Sie!« Louvet fischte im Gehen die Seiten des Robespierrizids aus seiner Innentasche. »Ah, der Pornograph«, sagte Philippe Égalité. Die Stimme des Herzogs rollte von der Höhe des Berges hinab wie Donner. Vereinzeltes Gekicher wurde laut. Dann breitete sich wieder Stille aus.
    Robespierre trat zur Seite und überließ Louvet das Rednerpult. Mit einem geduldigen, zögernden Lächeln sah er hinauf zu den Pariser Deputierten, ehe er in Louvets Sichtweite Platz nahm und darauf wartete, dass dieser mit seiner Tirade begann.
    »Ich beschuldige Sie, permanent noch die wackersten Patrioten zu verleumden, auch und gerade in der ersten Septemberwoche, als Gerüchte Todesstöße waren. Ich beschuldige Sie, die Vertreter der Nation herabgesetzt und abgeurteilt zu haben.« Er hielt inne; der Berg schrie und tobte; es war schwer, fortzufahren; Robespierre drehte den Kopf, sah zu ihnen hinauf, und der Lärm ließ nach, ebbte ab, bis neuerliches Schweigen eintrat.
    In diesem Schweigen fuhr Louvet fort, aber seine Stimme, trotzig erhoben, hatte jetzt das falsche Timbre, und als er sie hörte – als er hörte, wie falsch sie klang, und sich sagte: So darf ich nicht klingen –, schlich sich ein Zittern in sie ein. Haltsuchend umfasste er die Stange vor ihm, konnte sie jedoch nicht recht greifen, weil seine Handflächen glitschig von Schweiß waren.
    Sein Opfer hatte ihm den Kopf zugewendet, aber das Licht fiel ihm schräg übers Gesicht, sodass es augenlos schien hinter den getönten Brillengläsern. Seinen Zügen war nichts zu entnehmen. Louvet gab sich einen Ruck, einen sichtbaren, so als setzte er zum Sprung an: »Ich beschuldige Sie, sich zum Götzen erhoben zu haben, indem Sie den Menschen erlaubten, Sie in Ihrem Beisein als den einzigen Mann zu bezeichnen, der die Nation retten kann – und indem Sie sich auch selbst so bezeichnet haben. Ich beschuldige Sie, nach der unumschränkten Macht zu greifen.«
    Hatte er geendet oder einfach nur abgebrochen? – egal, der Berg brüllte jedenfalls wieder, doppelt so laut wie noch eben, und er sah Danton von seinem Sitz aufspringen, als wollte er in den Saal hinunterstürmen und die Angelegenheit mit den Fäusten bereinigen, und Dantons Freunde waren ebenfalls aufgesprungen, und Fabre hielt seinen Dienstherrn mit theaterhafter Geste zurück. Louvet stieg von der Tribüne herab. Seine Schultern waren jetzt gebeugt, vornübergekrümmt wie bei einem Schwindsüchtigen; Robespierre kam mit einem leichten, federnden

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