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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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einnehmen; Belgien wird besetzt werden, England, Holland und Spanien werden in den Krieg eintreten. Mit der Zeit wird es Niederlagen geben, werden Verrat, Verschwörungen und bloße Halbherzigkeit schauerlichen Tribut fordern, und in den sich lichtenden Reihen des Konvents meint man täglich Gevatter Tod selbst sitzen zu sehen, lächelnd, vertraut, umtriebig.
    Vorerst jedoch war das erstaunlichste Phänomen im Konvent Dantons Stimme; sie war jeden Tag zu vernehmen, zu jeder Frage, aber ihre Kraft und Arroganz überraschte immer wieder. Die Ministerbank verschmähte er, stattdessen saß er in den ansteigenden Bankreihen auf der linken Saalseite, bei den anderen Pariser Abgeordneten und den radikaleren Provinzlern. Diese Plätze – und damit auch ihre Inhaber – sollten schon bald »le montagne« heißen, der Berg. Die Girondisten, Brissotisten, wie immer man sie nennen wollte, sammelten sich auf den rechten Rängen, und zwischen ihnen und dem »Berg« breitete sich die »Ebene« oder auch der »Sumpf« aus, passend zu den schwankenden Naturen der dort Ansässigen. Nun da die Spaltung offen zutage lag, schien es keinen Anlass zur Zurückhaltung mehr zu geben. Tag für Tag verkündete Buzot dem überhitzten, stickigen Saal Manon Rolands Anschuldigungen gegen Paris, diesen blutsaugerischen Moloch, diese Nekropolis. Manchmal beobachtete Manon ihn von der Zuschauergalerie aus, untadelig verhalten in ihrem Applaus; in der Öffentlichkeit benahmen sie sich wie höfliche Fremde, unter vier Augen nicht ganz so wie Fremde, aber um nichts weniger höflich. In Louvets Tasche wartete eine Rede auf ihren Einsatz, sein Robespierrizid , wie er dazu sagte.
    Der springende Punkt – September, Oktober, November – waren die Herrschaftsbestrebungen der Brissotisten, ihre aus den Provinzen rekrutierte Privatarmee von sechzehntausend Mann, die singend durch die Straßen zogen und nach dem Blut der drei verhinderten Diktatoren verlangten – des »Triumvirats« Marat, Danton, Robespierre. Der Kriegsminister verfrachtete diese Armee an die Front, bevor es zur offenen Schlacht in den Gassen kam, die Gefechtslinien im Konvent dagegen entzogen sich seiner Befehlsgewalt.
    Marat saß für sich allein, bucklig und blutrünstig wie stets. Wenn er das Wort ergriff, eilten die Brissotisten aus dem Saal; diejenigen, die blieben, starrten ihn in gebanntem Abscheu an und tuschelten untereinander, aber mit der Zeit blieben immer mehr von ihnen und lauschten, denn seine Ausführungen betrafen sie sehr direkt. Beim Sprechen stützte er sich mit dem angewinkelten Arm auf das Geländer vor ihm, den Kopf auf dem kurzen, muskulösen Hals in den Nacken geworfen, und schickte seinen Bemerkungen das dämonische Kichern voraus, dessen er sich so gern befleißigte. Er war krank, und niemand wusste den Namen seiner Krankheit.
    Robespierre traf sich mit ihm – oberflächlich kannten sie sich natürlich seit Jahren, aber einen näheren Kontakt hatte er bisher tunlichst vermieden. Wer mit Marat redete, der bekam gern die Schuld an ihm zugeschoben – wurde bezichtigt, ihm seine Reden zu diktieren und seinen Ehrgeiz anzufachen. Dennoch, zu wählerisch durfte man nicht sein; in dem derzeitigen Klima musste man sich auf seine Freunde besinnen. So betrachtet war das Treffen vielleicht kein schlagender Erfolg, da es eher die Gegensätze zwischen den Patrioten unterstrich. Robespierres junger, kompakter Körper in seinen gut geschnittenen Kleidern war ruhig, katzenhaft gestrafft, seine Emotionen – soweit ein Gesicht sie verraten kann – waren mit den Septemberopfern begraben. Marat saß ihm zuckend und zappelnd gegenüber, hustend, ein schmuddeliges Tuch um den Kopf gebunden. Er spuckte vor lauter Eifer, seine schmutzige Faust trommelte auf dem Tisch herum, die Erbitterung malte Flecken und Verfärbungen auf seine Haut. »Robespierre, Sie verstehen mich einfach nicht.«
    Robespierre betrachtete ihn gelassen, den Kopf leicht schräg geneigt. »Möglich.«
    10. Oktober, zwei Monate nach dem Staatsstreich. Unter Robespierres Aufsicht (er sprach dort jeden Abend) führte der Jakobinerclub interne »Säuberungen« durch. Brissot und seine Kollegen wurden ausgeschlossen; der patriotische Organismus schied sie als unreinen Abfall aus. Am 29. Oktober sprach Roland im Konvent. Seine Anhänger klatschten und feuerten ihn an, aber der alte Mann glich einer blutleeren Marionette, deren Fäden nur noch von Pflichtbewusstsein und Gewohnheit gezogen wurden. Robespierre, so ließ

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