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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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zu und öffnete sie wieder. Es mochte ein Zeichen der Würdigung sein.
    Was Camille jetzt wollte, war ein Konvent ohne die Brissotisten und ein Prozess gegen das Königspaar. Er ging mit Elan und Begeisterung in diesen Winter ’92. Wenn er daheim war, dann war sie glücklich und feilte an ihren Camille-Imitationen – sie ahmte ihn jetzt nahezu perfekt nach, ihre Mutter und ihre Schwester bestätigten es. Wenn er nicht daheim war, saß sie am Fenster und hielt Ausschau nach ihm. Sie redete mit allen über ihn, in höchst gelangweiltem Ton.
    Niemand fürchtete sich mehr vor der Koalition, zumindest für dieses Jahr nicht mehr – außer vielleicht die Quartiermeister, die schimmliges Brot und papierbesohlte Stiefel ausgeben und zusehen mussten, wie die Bauern auf die Geldscheine der Regierung spuckten und Goldmünzen forderten. Die Republik war jünger als Luciles Kind. Dieses Kind, das die Welt noch weitgehend aus der Rückenlage sah, blickte aus runden, obsidiandunklen Augen und lächelte kritiklos. Robespierre kam, um nach seinem Patensohn zu sehen, und an den Nachmittagen schauten die alten Freundinnen ihrer Mutter vorbei, gaben ihm ihre Finger zu halten und erzählten nichtssagende Geschichten über ihre eigenen Kinder als Babys. Camille trug ihn herum und flüsterte ihm ins Ohr, versprach ihm, dass ihm alle Wege geebnet und alle Wünsche erfüllt würden und dass er dank seiner angeborenen Weisheit niemals irgendwelche grauenvollen Internate würde besuchen müssen. Ihre Mutter schleppte den Enkel durch die Gegend, zeigte ihm die Katze und den Himmel und die Bäume. Nur Lucile selbst drängte es zu ihrer eigenen Beschämung gar nicht, den Geist ihres Kindes zu bestücken; sie war wie ein Mieter, dessen Vertrag bald auslief.
    Um zu Marats Wohnung zu gelangen, geht man durch einen schmalen Durchgang zwischen zwei Läden und über einen kleinen Hof mit einem Brunnen in der Ecke. Zur Rechten führt eine Steintreppe mit einem eisernen Handlauf nach oben. Marat wohnt im ersten Stock.
    Wer anklopft, muss sich erst von einer von Marats Frauen in Augenschein nehmen lassen, teils auch von beiden. Das kann dauern. Albertine, seine Schwester aus unausdenklichen Kinderzeiten, ist klein, klapperdürr und giftig. Simone Evrard hat ein sanftes, ovales Gesicht, braunes Haar, einen ernsten und großzügigen Mund. Der heutige Besucher erregt kein Misstrauen bei ihnen. Die Bahn ist frei; der Volksfreund sitzt in seiner Wohnstube. »Reizend, wie Sie hier bei mir angerannt kommen«, bemerkt er, was besagen soll, dass er es keineswegs reizend findet.
    »Ich renne nicht«, sagte Camille. »Ich habe mich verstohlen hergeschlichen.«
    Marat zu Hause. Simone, seine langjährige Gefährtin, stellte eine Kanne Kaffee vor sie hin, bitter und schwarz. »Wenn es um die Schandtaten der Brissotisten geht«, sagte sie, »dann werdet ihr wohl eine Weile hier sitzen. Sagt Bescheid, wenn ihr eine Kerze braucht.«
    »Sind Sie in eigener Sache hier?«, fragte Marat, »oder hat man Sie geschickt?«
    »Man könnte fast meinen, Sie mögen keine Besucher.«
    »Ich will wissen, ob Sie im Auftrag von Danton oder Robespierre kommen oder wer Sie sonst herschickt.«
    »Ich glaube, sie wären beide froh über etwas Munition gegen Brissot.«
    »Brissot macht mich krank.« Das sagte Marat immer: Der oder jener macht mich krank. Und es stimmte ja. Sie hatten ihn krank gemacht. »Immer dieses Gehabe, als würde er die Revolution anführen, als wäre sie sein Werk. Der große Experte für Außenpolitik – nur weil er andauernd außer Landes flüchten musste, damit ihn die Polizei nicht erwischt. Wenn es danach ginge, müsste ich der Experte sein.«
    »Wir müssen Brissot auf der ganzen Linie attackieren«, sagte Camille. »Sein Leben vor der Revolution, seine Philosophie, seine Mitstreiter, sein Verhalten in jeder Krise vom Mai ’89 bis letzten September …«
    »Und bei der englischen Ausgabe meiner Ketten der Sklaverei hat er mich auch betrogen. Er hat mit seinen Verlegern gemeinsame Sache gemacht und meine Ideen plagiiert, und ich habe nie einen Penny gesehen.«
    Camille sah auf. »Du liebe Güte, Sie wollen doch nicht etwa, dass wir das gegen ihn vorbringen?«
    »Und seit seiner Reise in die Vereinigten Staaten ist er –«
    »Ja, ich weiß, als Mensch ist er unausstehlich, aber darum geht es nicht.«
    »Für mich, ja. Ich muss auch so schon genug ausstehen.«
    »Vor der Revolution war er Polizeispitzel.«
    »Ja«, sagte Marat. »Das war er.«
    »Verfassen

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