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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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noch geglaubt, Sie würden allmählich in der Realität ankommen«, sagte Marat. »Oder ist das der Einfluss Ihrer beiden überängstlichen Herren und Meister? Bei der Krise im September wusste Robespierre, was zu tun war, aber seitdem, oh, seitdem ist er sehr zimperlich geworden.«
    Camille hatte den Kopf in die Hand gestützt. Er wickelte sich eine Haarlocke um den Finger. »Ich kenne Brissot schon sehr lange.«
    »Wir alle kennen das Böse seit unserer Geburt«, parierte Marat, »aber müssen wir es deshalb dulden?«
    »Das sind doch hohle Phrasen.«
    »Ja. Binsenweisheiten.«
    »Schon traurig, wenn man es bedenkt: Jeder König bringt seine Gegner kurzerhand um, aber wir müssen unseren gut zureden.«
    »An der Front sterben die Menschen für ihre Fehler. Warum sollten Politiker schonender behandelt werden? Sie haben den Krieg herbeigeführt. Sie verdienen es, dutzendfach zu sterben, jeder Einzelne von ihnen. Was können wir ihnen vorwerfen, wenn nicht Verrat, und wie kann Verrat bestraft werden, wenn nicht mit dem Tode?«
    »Ja, das ist wahr.« Camille fing an, mit dem Fingernagel Muster in die Staubschicht auf dem Tisch zu malen, hörte aber auf damit, als ihm klar wurde, was er da machte.
    Marat lächelte. »Es gab eine Zeit, Camille, da kamen die Aristokraten in Scharen zu mir, damit ich sie von der Schwindsucht heile. Ihre Kutschen verstopften manchmal die Straßen. Auch ich hatte eine stattliche Equipage. Meine Kleidung war untadelig, und ich war die Ausgeglichenheit und Liebenswürdigkeit in Person.«
    »Ach wirklich«, sagte Camille.
    »Sie waren damals ein Schuljunge, was wissen Sie schon davon.«
    »Haben Sie Schwindsüchtige geheilt?«
    »Manche. Die, die fest genug daran glaubten. Sagen Sie, gehen die Leute, die den Cordeliers-Club gegründet haben, heute eigentlich noch hin?«
    »Manchmal. Das Sagen haben dort jetzt andere. Was aber nichts Schlimmes ist.«
    »Die Sansculotten haben das Ruder übernommen.«
    »Mehr oder weniger.«
    »Während ihr euch in höheren Sphären bewegt.«
    »Ich weiß, was Sie meinen. Aber deshalb haben wir es nicht verlernt, auch mit Menschenaufläufen fertigzuwerden. Wir sind keine Salonrevolutionäre. Man muss nicht im Dreck leben, um …«
    »Genug«, sagte Marat. »Es ist ja nur, dass ich mich über unsere Sansculotten beunruhige.«
    »Dieser Priester, Jacques Roux – aber er heißt doch nicht wirklich so?«
    »O nein – aber vielleicht denken Sie ja auch, ich heiße nicht wirklich Marat?«
    »Spielt das denn so eine Rolle?«
    »Nein. Aber Idioten wie Roux lenken die Revolution in die falsche Richtung. Sie sollten sie zu läutern versuchen, aber stattdessen ermutigen sie die Menschen dazu, Gemischtwarenläden zu plündern.«
    »Irgendwer ruft sich offenbar immer zum Rächer der unterdrückten Armen aus«, sagte Camille. »Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll. Die Lage der Armen ändert sich dadurch um kein Jota. Trotzdem werden die Menschen, die denken, sie könnte sich ändern, von der Nachwelt mit Ruhm überschüttet.«
    »So ist es. Die Armen werden durch diese Revolution und durch alle anderen Revolutionen getrieben wie Packesel, aber das begreifen diese Leute nicht, sie weigern sich, es zu verstehen. Wo wären wir hingekommen, wenn wir ’89 auf die Sansculotten gewartet hätten? Wir haben die Revolution in den Cafés gemacht und sie hinaus auf die Straßen getragen. Jetzt will Roux sie in den Rinnstein kippen. Und jeder Einzelne von ihnen – Roux und die ganze Bagage – arbeitet der Koalition zu.«
    »Wissentlich, meinen Sie?«
    »Was für einen Unterschied macht das, ob sie es aus Dummheit tun oder aus Schlechtigkeit? Sie tun es. Sie sabotieren die Revolution von innen.«
    »Sogar Hébert wettert inzwischen gegen sie. Enragés , so heißen sie beim Volk. Ultra-Revolutionäre.«
    Marat spuckte klatschend auf den Boden. Camille riss die Füße weg. »Ultra-Revolutionäre, dass ich nicht lache. Sie sind ja nicht einmal Revolutionäre. Sie sind ein Entwicklungsrückschlag! Ihre Vorstellung von gesellschaftlichem Fortschritt ist ein Gott, der jeden Tag Brot vom Himmel herabwirft. Aber ein Narr wie Hébert begreift das nicht. Nein, ich habe nicht mehr für Père Duchesne übrig als Sie.«
    »Vielleicht ist Hébert ja ein heimlicher Brissotist?«
    Marat lachte bitter. »Camille, Sie lernen dazu, Sie lernen dazu. Hébert hat Sie diffamiert, wenn ich mich recht entsinne – und ja, Sie sollen seinen Kopf haben, wenn es so weit ist. Aber erst müssen noch ein paar

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