Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
andere rollen, ehe seiner an die Reihe kommt. Bringen wir erst Weihnachten hinter uns, wie die Frauen so gern sagen – und dann sehen wir zu, dass wir dieser Revolution auf die Sprünge helfen. Ob sich unsere Herren und Meister wohl klar darüber sind, was sie an uns haben? An Ihnen mit Ihrem liebreizenden Lächeln und an mir mit meinem scharfen Messer?«
Hébert, Le Père Duchesne, über die Rolands:
Vor ein paar Tagen war eine Delegation von einem halben Dutzend Sansculotten bei dem alten Schwindler Roland. Dummerweise kamen sie gerade, als das Nachtmahl aufgetragen wurde … Unsere Sansculotten gehen also den Gang entlang und kommen ins Vorzimmer des Tugendhaften Roland. Da drin wimmelt es so von Lakaien, dass man keinen Fuß vor den anderen setzen kann. Zwanzig Köche mit den feinsten Frikassees schreien: ›Platz da, aus dem Weg, hier kommen die Entrées des Tugendhaften Roland.‹ Andere bringen die Vorspeisen des Tugendhaften Roland, andere die Braten des Tugendhaften Roland, wieder andere die Beilagen des Tugendhaften Roland. »Was wollt ihr?«, fragt der Kammerdiener des Tugendhaften Roland die Delegation.
»Wir möchten den Tugendhaften Roland sprechen.«
Der Kammerdiener überbringt die Botschaft dem Tugendhaften Roland, der mit mürrischem Gesicht herauskommt. Er hat den Mund voll und eine Serviette überm Arm. »Die Republik muss ja in sehr großer Gefahr sein«, sagt er, »dass ich so rüde von meinem Nachtmahl fortgerufen werde.« … Louvet mit seinem Pappmaché-Gesicht und seinen hohlen Augen wirft derweil lüsterne Blicke auf die Frau des Tugendhaften Roland. Einer der Delegierten versucht, ohne Licht durch die Speisekammer zu schleichen, und stößt das Dessert des Tugendhaften Roland um. Als sie von dem verdorbenen Dessert erfährt, rauft sich die Frau des Tugendhaften Roland vor Wut ihre künstlichen Haare aus.
»Langsam schnappt Hébert über«, bemerkte Lucile. »Wenn ich an diese Kohlrüben denke, die sie Georges-Jacques vorgesetzt haben!« Sie reichte die Zeitung Camille. »Werden die Sansculotten das glauben?«
»Aber ja, jedes Wort. Sie wissen nicht, dass Hébert seine eigene Kutsche hat. Für sie ist er Père Duchesne, der Pfeife raucht und Öfen baut.«
»Kann niemand sie aufklären?«
»Hébert und ich werden als Verbündete gesehen. Als Kollegen.« Er schüttelte den Kopf. Seinen Nachmittag bei Marat erwähnte er nicht. Seine Frau sollte möglichst nichts ahnen von dem, was ihm durch den Sinn ging.
»Und Sie müssen wirklich hier weg?«, fragte Maurice Duplay.
»Was bleibt mir übrig? Sie ist meine Schwester, sie findet, dass wir unser eigenes Haus führen sollten.«
»Aber Sie sind bei uns zu Hause.«
»Das versteht Charlotte nicht.«
»Glaub mir, er kommt zurück«, sagte Mme Duplay.
Condorcet, der Girondist, über Robespierre:
Viele fragen sich, weshalb Robespierre eine so große Anhängerschaft unter den Frauen hat. Das kommt daher, dass die Französische Revolution eine Religion und Robespierre ein Priester ist. Seine Stärken sind samt und sonders weibliche Stärken. Robespierre predigt, Robespierre zensiert … Er braucht nichts zum Leben und hat keine körperlichen Bedürfnisse. Er hat nur die eine Mission – reden –, und er redet fast unablässig. Er nimmt auch die Jakobiner ins Gebet, wenn er dort genügend Jünger um sich zu sammeln vermag; wenn seine Autorität Schaden leiden könnte, schweigt er … Er hat sich einen Ruf der Enthaltsamkeit erworben, der ans Heiligmäßige grenzt. Die Frauen und die Schwachen scharen sich um ihn, und fromm lässt er sich ihre Anbetung und Huldigung gefallen.
ROBESPIERRE : Wir hatten jetzt zwei Revolutionen, ’89 und letzten August. Es scheint das Leben der Menschen nicht groß verändert zu haben.
DANTON : Roland und Brissot und Vergniaud sind Aristokraten.
ROBESPIERRE : Nun ja.
DANTON : Im neuen Sinne des Wortes, meine ich. Die Revolution ist ein großes Schlachtfeld der Wortbedeutungen.
ROBESPIERRE : Vielleicht brauchen wir noch eine Revolution.
DANTON : Reden wir nicht um den heißen Brei herum.
ROBESPIERRE : Nein …
DANTON : Aber bei Ihren allseits bekannten Ansichten, bei Ihrer Aversion gegen das Blutvergießen …?
ROBESPIERRE [ohne große Hoffnung] : Kann Wandel nicht tiefgreifend sein, auch ohne dass Blut vergossen wird?
DANTON : Ich wüsste nicht, wie.
ROBESPIERRE : Immer leiden Unschuldige. Aber vielleicht gibt es ja gar keine Unschuldigen? Vielleicht ist das nur ein Klischee? Es geht einem so leicht
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