Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
einzig Einfache an ihm sind seine Bedürfnisse. Macht, Geld, Land.«
»Frauen«, ergänzte Gabrielle.
»Wie haben Sie das gemeint vorhin – dass er sich zugrunde richtet?«
»Jetzt bin ich mir gar nicht mehr sicher. Aber vorhin – als er so wütend und hämisch und beleidigend war –, erschien es mir alles glasklar. Dieses Bild, das er von sich hat – sollen die anderen mich ruhig korrupt finden, aber ich bin nur geschickt, ich bleibe mein eigener Herr, keiner kann mir etwas anhaben … Aber das stimmt nicht. Er hat vergessen, was er einmal erreichen wollte. Die Mittel sind zum Zweck geworden. Er merkt es nicht, aber er ist durch und durch korrupt.« Sie schauderte, schwenkte ihr Glas mit dem letzten Schluck Wein darin, der sich schon rot und klebrig am Boden festsetzte. »Tja«, sagte sie. »Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.«
Danton kam heim. Catherine ging vor ihm her und hielt den Fidibus an die hohen Wachskerzen in den silbernen Armleuchtern. Seen von gelbem Licht breiteten sich im Zimmer aus. Sein mächtiger Schatten streckte sich an der Wand entlang. Er ließ sich vor dem Kamin auf ein Knie nieder und zog ein paar Papiere aus seiner Tasche.
»Seht ihr?«, sagte er. »Bluff. Du hattest recht. Es war fast enttäuschend.«
»Nach deiner Szene von vorhin«, sagte Camille, »werde ich wahrscheinlich sogar das Jüngste Gericht als Enttäuschung empfinden.«
»Der Zeitpunkt war haargenau richtig. Der Brief lag bei Defermon, wie du dachtest. In meiner Handschrift war nichts dabei. Und die Quittungen auch nicht. Nur das hier.« Er hielt die Zettel ins Feuer. »Nur ein Wust von Anschuldigungen von de Molleville. Alles zu furchtbarer Dramatik aufgebauscht, Andeutungen, Behauptungen – aber nicht ein einziger Beweis. Ich habe getobt, ich habe zu Defermon gesagt: ›So, da korrespondieren Sie also mit Emigrés?‹ Es war gefundenes Fressen für mich. ›Sehen Sie, wie sie mich verleumden?‹, habe ich gesagt. Und Defermon: ›Sie haben recht, Bürger. Ach je, ach je.‹«
Camille sah zu, wie die Flammen die Seiten auffraßen. Aber lesen durfte ich es nicht, dachte er. Was hat de Molleville ihm noch vorgeworfen? Gabrielle denkt, wir wüssten alles, aber es gehört mehr dazu, um mit Georges-Jacques Schritt zu halten. »Wer war der Überbringer?«
»Nicht einmal das wusste dieser Wicht. Niemand, den der Concierge kannte.«
»Bei Vergniaud hättest du kein so leichtes Spiel gehabt, das ist dir klar, oder? Du hättest vielleicht gar nichts ausrichten können. Und diese Dokumente – vielleicht existieren sie ja doch irgendwo. Vielleicht sind sie noch hier in Paris.«
»Und wenn schon«, sagte Danton. »Dagegen kann ich momentan nichts machen. Aber eins sag ich euch – als de Molleville diesen armseligen Drohbrief unterschrieben hat, hat er damit Louis’ Todesurteil unterschrieben. Jetzt rühre ich keinen Finger für Capet.«
Gabrielle senkte den Kopf. »Tja, du hast verloren«, sagte ihr Mann zu ihr. Er strich ihr leicht über den Nacken. »Ruh dich aus«, sagte er. »Du musst liegen. Camille und ich trinken noch eine Flasche. Dieser Tag heute hat mich viel Kraft und Zeit gekostet.«
Und morgen werden wir alle so tun, als wäre nichts gewesen. Aber Danton lief rastlos im Zimmer auf und ab. Zu tief steckte ihm der Schrecken von vorhin in den Knochen. Erst nach und nach spürte er, wie seine Muskeln, seine Nerven ihm wieder zu gehorchen begannen. So sicher wie früher würde er seiner selbst nie wieder sein können. Es war der Anfang vom Ende, er wusste es.
5. Ein Märtyrer, ein König, ein Kind
(1793)
Der Prozess gegen den König ist vorüber. Die Stadttore sind verriegelt. Niemand kann schuldlos Herrscher sein, hat der Konvent entschieden. Also verurteilt die bloße Tatsache seiner Geburt Louis zum Tode? »Das ist der logische Schluss«, sagt Saint-Just gelassen.
Fünf Uhr morgens: In einem Haus an der Place Vendôme brennen alle Lichter. Man hat nach Wundärzten geschickt, den besten, die die Republik zu bieten hat; man hat außerdem nach dem Maler David geschickt, damit er die Züge eines Märtyrers studieren kann, zuschauen kann, wie der Tod sie Schritt für Schritt auslöscht, auf dass Unsterblichkeit sie veredle. Es ist der erste Märtyrer der Republik, dessen schwindende Sinne nun ein Gewirr von Stimmen auffangen – manche nah, halb vertraut, andere fern und verhallend –, während im Nebenzimmer seine Beisetzung geplant wird. Michel Lepelletier heißt er, ehedem Adliger, jetzt
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