Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
Metzger, brüllt einen Brissotisten an: »Dich zerleg ich!« Worauf der Angegriffene kontert: »Da müssen Sie erst dekretieren lassen, dass ich ein Ochse bin.« Und eines Tages stolpert ein Brissotist beim Erklimmen der neun Stufen zum Rednerpult. »Als würde man aufs Schafott steigen«, beschwert er sich. Da kannst du gleich üben, schallt es darauf von der Linken begeistert. Ein übermüdeter Abgeordneter legt die Hand an die Stirn – sieht Robespierre in seine Richtung schauen und nimmt die Hand hastig wieder weg. »Nein, nein«, sagt er, »nicht, dass er denkt, ich führe etwas im Schilde.«
    Im weiteren Jahresverlauf gehen manche Abgeordneten – und andere Träger hoher öffentlicher Ämter – dazu über, unrasiert zu erscheinen, ohne Rock und Halsbinde, oder sie entledigen sich dieser Attribute der Zivilisiertheit, sobald die Temperaturen zu steigen beginnen. Man könnte sie für einfache Arbeiter halten, die sich frühmorgens an der Pumpe im Hof waschen, ehe sie sich vor ihrer Zehn-Stunden-Schicht noch schnell mit einem Glas Branntwein in der Taverne am Eck stärken. Der Bürger Robespierre freilich stellt einen wandelnden Vorwurf gegen diese Männer dar; er bleibt seinen Schnallenschuhen und dem gestreiften olivgrünen Rock treu. Kann es derselbe Rock sein, in dem er sich schon im ersten Jahr der Revolution zu zeigen pflegte? Sein Kleiderverschleiß ist jedenfalls nicht sonderlich groß. Während Bürger Danton sich das gestärkte Leinen herunterreißt, das seinen fetten Hals einzwängt, werden Bürger Saint-Justs Krawatten immer höher, steifer, wundersamer anzusehen. Er trägt einen einzelnen Ohrring, wodurch er aber weniger wie ein Korsar wirkt als wie ein leicht kauziger Bankkaufmann.
    Die Sektionsausschüsse tagen in leerstehenden Kirchen. An die Wände sind mit schwarzer Farbe revolutionäre Parolen geschmiert. Bei diesen Ausschüssen beantragt man sein Bürgerzeugnis, auf dem Adresse, ausgeübter Beruf, Alter und äußere Merkmale verzeichnet stehen; eine Abschrift wird ans Rathaus weitergegeben.
    Hausiererinnen gehen von Tür zur Tür und bieten in großen Körben Tischwäsche feil; unter der Wäsche liegen frische Eier und Butter verborgen, die weitaus begehrter sind. Die Männer auf den Holzplätzen streiken beständig für höhere Löhne, und Feuerholz kostet doppelt so viel wie ’89. In einer Seitengasse hinter dem Café du Foy kann, wer genug dafür zu zahlen bereit ist, mitternächtens Geflügel erstehen.
Ein kleiner Knabe lief über den Marktplatz, einen Laib Brot in der Hand. Eine Frau mit der blau-weiß-roten Kokarde am Hut stieß ihn zu Boden, nahm das Brot, riss es in Stücke, warf es fort und sprach, da sie kein Brot habe, dürften auch andre keines essen. Die Bürgerinnen an den Marktständen hielten ihr vor, wie dumm ihre Tat sei; darauf schimpfte sie noch ärger, sie seien alles Aristokraten, und bald würden alle Frauen über dreißig geköpft.
    Robespierre saß mit vier Kissen im Rücken im Bett. Er war noch recht schwach, das machte ihn jünger. Sein lockiges rotbraunes Haar war ungepudert. Über das ganze Bett lagen Papiere verstreut. Im Zimmer roch es leicht nach Orangenschalen.
    »Dr. Souberbielle sagt, nein, nein, Orangen dürfen Sie nicht essen, Bürger. Aber ich bringe nichts anderes hinunter. Er sagt, Ihre Sucht nach Zitrusfrüchten nimmt Ausmaße an, die ich nicht mehr verantworten kann. Marat hat mir geschrieben – Cornélia, meine Liebe, könnte ich wohl noch etwas kaltes Wasser bekommen? Richtig eiskaltes?«
    »Aber natürlich.« Sie nahm den Krug und eilte davon.
    »Raffiniert«, sagte Camille.
    »Ja, aber ich muss mir immer kompliziertere Wünsche ausdenken. Ich hab es dir ja schon immer gesagt, die Frauen sind nichts als ein Ärgernis.«
    »Ja, aber damals waren deine Erfahrungen rein akademisch.«
    »Rück deinen Stuhl näher zu mir, ich kann nicht so laut sprechen. Ich weiß nicht, wie das in dem neuen Saal werden soll, Theater hin oder her, die Akustik ist verheerend. Die Einzigen, die sich Gehör werden verschaffen können, sind Georges-Jacques und Legendre. In Versailles war es schon schlimm genug, dann die Manege und jetzt das – mir tut seit vier Jahren der Hals weh.«
    »Sag so etwas nicht. Ich muss heute Abend bei den Jakobinern sprechen.«
    Seine Streitschrift gegen Brissot war bereits im Druck, und heute Abend sollte der Club ihre Vervielfältigung und Verteilung beschließen. Aber sie wollten ihn dazu sehen und hören. Robespierre begriff das: Man

Weitere Kostenlose Bücher