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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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Suite warten. Wer aus dem Fenster schaut, blickt auf Kanonen und Reihen von Soldaten. Der Raum ganz am Ende war früher das Privatgemach Louis des Letzten. Niemand hat Zutritt.
    In diesem Raum tagt jetzt der Wohlfahrtsausschuss. Der Ausschuss dient dazu, den Ministerrat zu überwachen und seine Beschlüsse zügig umzusetzen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird er von vielen der Danton-Ausschuss genannt. Was tut er da drin?, fragen sie sich, wenn er in diesem grünen Gemach mit den grünen Tapeten sitzt, die Ellbogen auf den großen ovalen Tisch mit der grünen Tischdecke gestützt. Er findet die Farbe unangenehm, irritierend. Zu seinen Häupten klirrt ein Kristalllüster, die verspiegelten Wände reflektieren seinen Stiernacken, sein narbiges Gesicht. Manchmal sieht er aus den Fenstern, über die Gärten. Auf der Place Louis XV , nunmehr Place de la Révolution, ist die Guillotine am Werk. Während er in seinem Büro oben um Frieden verhandelt, meint er hören zu können, wie Sanson sich sein täglich Brot verdient – meint das Rumpeln der Maschinerie zu hören, das Niederfahren des Fallbeils. Armeeoffiziere fürs Erste; zumindest sollten sie sich aufs Sterben verstehen.
    Im April gab es sieben Hinrichtungen: undramatisch, die Zahl wird steigen. Die Sektionsausschüsse werden nur allzu bereitwillig nach Festnahmen rufen, freudig werden sie den einen als lauwarmen Patrioten verschreien, den anderen als Adelssympathisanten, Schwarzmarkthändler oder Priester. Aushebung, Haussuchungen, Essensrationierungen, Pässe, Denunziationen: schwer zu entscheiden, wo die Sektionsausschüsse enden und die guten Dienste der Kommune beginnen. Es hat einen Tag gegeben, an dem die Polizei das Palais Royal abgeriegelt und sämtliche Mädchen dort zusammengetrieben hat. Ihnen wurden die Kennkarten abgenommen; über eine Stunde lang standen sie in Grüppchen da und beschimpften die Polizisten, ihre Gesichter hart und hoffnungslos unter der Schminke; dann gab man ihnen die Karten zurück und sagte ihnen, sie könnten gehen, wohin sie wollten. Der kleine Terror des Pierre Chaumette.
    Von hier aus muss er ein Auge auf die Österreicher und die Preußen haben, auf die Engländer und die Schweden, die Russen und die Türken und den Faubourg Saint-Antoine – auf Lyon, Marseilles, die Vendée und die öffentliche Galerie – auf Marat bei den Jakobinern und Hébert bei den Cordeliers – auf die Kommune, die Sektionsausschüsse, das Tribunal und die Presse. Manchmal sitzt er da und denkt an seine tote Frau. Er kann sich einen Sommer ohne sie nicht vorstellen. Er ist sehr müde. Immer häufiger bleibt er den Versammlungen der Jakobiner und den Abendsitzungen des Ausschusses fern. Danton lässt sich gehen, sagen manche, er lässt die Dinge schleifen. Andere sagen: Das wagt er nie. Ab und zu besucht Robespierre ihn, beunruhigt und asthmatisch, und zupft an Kragen und Manschetten seiner überkorrekten Kleider herum. Robespierre wird immer mehr zur Karikatur seiner selbst, findet Lucile. Wenn Danton nicht daheim sitzt, mit der kleinen Louise am Rockzipfel, ist er bei den Desmoulins, er lebt praktisch bei ihnen, so wie Camille früher bei ihm gelebt hat.
    Die Avancen, die er Lucile macht, sind zur Formsache geworden, reine Gewohnheit. Immer deutlicher merkt er, wie wenig sie mit den fleißigen, ernsten, schlicht gestrickten Frauen gemein hat, die er für sein häusliches Wohlbehagen braucht. Nachdem sie einen Tag über ihrem Rousseau gebrütet hat, verkündet sie beispielsweise den sofortigen bukolischen Rückzug aus der Hauptstadt und fährt mit ihrem Söhnchen, das die Trennung von der Großmutter mit Wutgeheul quittiert, aufs Land, um dort einen Generalplan für seine Erziehung auszuarbeiten. Mit über den Rücken wallenden Haaren und riesigem Strohhut rupft sie ein wenig Unkraut aus den Kräuterbeeten, um der Natur nahe zu sein; am Nachmittag liest sie in einer Gartenschaukel unter dem Apfelbaum Gedichte, und ab neun Uhr abends liegt sie im Bett.
    So vergehen zwei Tage, dann treibt das Geplärr von Robespierres Patenkind sie die Wände hoch; hektisch erteilt sie Anweisungen zur Nachsendung von frischen Eiern und Salat und hetzt zurück in die Rue des Cordeliers, den ganzen Weg über gequält von der Angst, sie könnte ihre Musikstunde versäumen oder von ihrem Mann verlassen worden sein. Du siehst verheerend aus, sagt sie mürrisch zu ihm, wie hast du dich ernährt, mit wem warst du wieder im Bett? Es folgt eine Woche ausgelassenen, nächtelangen

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