Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
ihnen fällt, Theater zu spielen. Camille sagte gerade: »Max möchte nicht auf eine unerprobte Meinung festgenagelt werden. Aber manchmal muss man eben etwas riskieren. Und mir macht es nichts aus, der Erste zu sein. Würde das als heldenhafte Einstellung durchgehen, Louise?«
Sie antwortete scharf: »Sie sind doch zum Helden berufen, oder?«
Sodass alle lachten – über Camille.
5. DEZEMBER : »Auf die ›Alten Cordeliers‹.« Fabre hob sein Glas. Sein Gesicht war hohlwangig und gerötet. »Möge die zweite Ausgabe ebenso viel Anklang finden wie die erste.«
»Danke.« Camille schaute wahrhaftig bescheiden drein, zumindest neigte er den Kopf und senkte den Blick, das äußere Anzeichen für innere Demut. »Mit so einem großen Erfolg hatte ich nicht gerechnet. Als hätten die Leute darauf gewartet … Diese breite Zustimmung überwältigt mich regelrecht.«
Der Abgeordnete Philippeaux – einer jener geheimnisvollen Abgeordneten, die ständig auf kommissarischer Mission waren, weshalb er ihn bis letzte Woche kaum wahrgenommen hatte – beugte sich vor und tätschelte seine Hand. »Es ist eben einfach großartig! Es … wissen Sie, ich habe selbst ein Pamphlet verfasst, aber wenn Sie erlebt hätten, was ich erlebt habe, hätten Sie das garantiert viel besser gemacht. Ich kann nur an das Gewissen appellieren, Sie dagegen können« – der Abgeordnete berührte sein elegantes Halstuch – »das Herz anrühren. Ich habe wahre Gemetzel gesehen, wissen Sie?« Er war kein Mann der starken Worte, hatte der Ebene angehört, nicht dem Berg, und seine Ansichten immer sorgfältig zurechtgestutzt – bis jetzt.
»Gemetzel – oje!«, sagte Fabre. »Das würde unser guter Junge nicht verkraften. Ein Brissotist, der einen kleinen Dolch in seinen Unterlagen versteckt hat, ist genug für ihn. Gräueltaten würde er nicht aushalten, fürchte ich. Ohnmachtsanfall, schätze ich. Allerdings durchaus anmutig.«
Erstaunlich, wie zäh Fabre ist. Camille ebenso. Etwas in seinem Innern fühlt sich bleiern an, doch ansonsten ist er kampfbereit, macht das Beste aus seiner Fähigkeit, andere Menschen in zuckende Wut zu versetzen oder in einen langen, rauschhaft-gefühligen Abfall von der Vernunft. Er fühlt sich leicht, sehr jung. Der Maler Hubert Robert (dessen Spezialität bedauerlicherweise malerische Ruinen sind) ist ihm ständig auf den Fersen, der Maler Boze betrachtet ihn immer wieder eingehend und kommt ab und zu herüber, um ihm mit wenig zartfühlender Künstlerhand das Haar zurechtzuzupfen. In seinen düstereren Momenten denkt er: Lass dich rechtzeitig verewigen.
Das Entscheidende ist, dass dem Stil keine Beschränkungen mehr auferlegt sind. Was wir jetzt sagen, ist nicht, dass die Revolution ohne Rücksicht auf Verluste voranschreitet und ihre Sprache und Politik immer derber werden, immer stärker vergröbern – die Revolution ist stets flexibel, subtil, elegant. Mirabeau hat einmal gesagt: »Die Revolution ist eine Hure, die sich gern auf einem Bett aus Leichen nehmen lässt.« Er weiß, dass das stimmt, aber er wird es seinen Lesern auf eine sanftere Weise vermitteln.
Er kann jetzt er selbst sein – soll heißen, so anders als Hébert, wie es nur irgend vorstellbar ist. Er muss sich nicht der Sprache der Straße andienen, er muss nicht schwadronieren, er muss sich nicht als Marats Erbe darstellen, wobei er sehr wohl noch daran denkt, wie er Simones erschlafften rundlichen Körper in den Armen hielt, noch an diese Modepuppe denkt, die seinen Freund umgebracht hat. Marat und die schwarze Verzweiflung, die er hervorgebracht hat: Er wird eine neue Ultima-Thule-Atmosphäre schaffen, sehr schlicht, sehr hell, jedes Wort durchscheinend und glatt. Die Luft in Paris ist wie getrocknetes Blut – er wird uns (mit Robespierres Erlaubnis und Billigung) das Gefühl geben, wir atmeten Eis, Seide und Wein.
»Übrigens«, sagte der Abgeordnete Philippeaux, »wussten Sie, dass de Sade verhaftet worden ist?«
»Der Abgeordnete Philippeaux, der Abgeordnete Philippeaux«, sagte Robespierre. »Zurück von seiner Mission, kritisiert er die Kriegsführung. Die Befehlshaber in der Vendée« – er schlug die kleine Schrift von Philippeaux auf – »sind diejenigen, die Hébert in der Tasche hat, und es ist legitim, sie zu verdächtigen. Mit Ausnahme von Westermann, der ein Freund Dantons ist. Dummerweise« – er griff nach seinem Federhalter – »hört Philippeaux an dieser Stelle nicht auf.« Er neigte den Kopf, unterstrich
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