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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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einzelne Sätze. »Er erhebt Anschuldigungen gegen den Ausschuss, weil dieser letztlich für den Krieg verantwortlich ist. Offenbar ist er der Ansicht, der Krieg wäre schon längst vorbei, wenn ihn nicht bestimmte Leute in Gang gehalten hätten, um sich zu bereichern.«
    »Philippeaux hat viel Zeit mit Camille und Danton verbracht«, sagte das Ausschussmitglied. »Ich merke das nur an.«
    »Es ist die Sorte Theorie, die Camille gefallen würde«, sagte Robespierre. »Glauben Sie das? Hm, ich weiß nicht.«
    »Sie zweifeln die lauteren Absichten Ihrer Kollegen im Ausschuss an?«
    »Ja, in der Tat«, sagte Robespierre. »Und trotzdem bin ich davon überzeugt, dass der Ausschuss arbeitsfähig bleiben muss. Aus Lyon werden uns Geschichten über das Treiben unseres Freundes Collot zugetragen. Angeblich hat er seinen Auftrag, die Rebellen zu bestrafen, so verstanden, dass er das Volk abschlachten soll.«
    »So?«
    Robespierre legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Collot ist Schauspieler, nicht wahr, Theaterregisseur? Früher hätte er sich damit zufriedengeben müssen, Theaterstücke über Erdbeben und mehrfache Morde zu inszenieren. Jetzt kann er seine Visionen in die Realität umsetzen. Vier Jahre Revolution, Bürger – und überall die gleiche Gier und Engstirnigkeit, der gleiche Egoismus, die gleiche Indifferenz gegenüber dem Leid anderer, der gleiche teuflische Blutdurst. Ich begreife die Menschen einfach nicht.« Sein Kollege starrte ihn verblüfft an. »Und was tut Danton unterdessen? Ermuntert er Philippeaux womöglich?«
    »Wenn er einen zeitweiligen Vorteil darin sähe, täte er es. Der Ausschuss muss Philippeaux zum Schweigen bringen.«
    »Nicht nötig.« Er stieß den Federhalter auf die bedruckte Seite. »Sie haben gesehen, dass er Hébert attackiert? Hébert wird das für uns erledigen. Soll er sich wenigstens einmal nützlich machen.«
    »Aber Sie erlauben Camille, Hébert zu attackieren, hier in dieser zweiten Ausgabe?«, sagte das Ausschussmitglied. »Ach so – die beiden Pole gegen die Mitte? Ganz schön gewieft.«
    Dekret des Nationalkonvents:
Der Ministerrat, die Minister, Generäle und alle verfassten Organe werden unter die Aufsicht des Wohlfahrtsausschusses gestellt.
     
    CAMILLE : Ich wüsste nicht, warum ich Beifall für die dritte Ausgabe erwarten sollte. Jeder hätte sie verfassen können. Es ist eine Art Übersetzung. Ich habe Tacitus gelesen, über die Regentschaft von Kaiser Tiberius. Ich hatte schon zu de Sade gesagt, dass es damals genauso zuging wie heute, habe das noch mal überprüft und bestätigt gefunden. Unser Leben sieht heute genauso aus, wie der Chronist es beschrieben hat: Ganze Familien werden vom Henker ausgelöscht; Männer legen Hand an sich, um nicht wie gewöhnliche Verbrecher durch die Straßen geschleift zu werden; Männer denunzieren ihre Freunde, um die eigene Haut zu retten; die Korrumpierung alles menschlichen Gefühls, die Herabwürdigung von Mitleid zu einem Verbrechen. Ich erinnere mich noch daran, wie ich das vor vielen Jahren zum ersten Mal gelesen habe, und Robespierre wird sich an sein erstes Mal auch erinnern.
    Mir schien es nicht nötig, viel hinzufügen – es reichte, den Text der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Man musste die Namen der Römer im Geiste nur durch die Namen französischer Männer und Frauen ersetzen, die Namen von Menschen, die man kannte, die in derselben Straße wohnten, deren Schicksal man beobachtet hatte und möglicherweise bald teilen würde.
    Natürlich musste ich den Text ein bisschen umgestalten – damit herumspielen, wie Hébert es ausgedrückt hätte. Ich habe ihn Robespierre nicht gezeigt. Ja, ich denke schon, dass er schockiert sein wird. Aber es wird ein heilsamer Schock sein, glauben Sie nicht auch? Ich meine, wenn er die geschilderte Lage wiedererkennt, wird er sich die Frage stellen müssen, inwiefern er sie mitgeschaffen hat. Es wäre absurd, Robespierre als einen zweiten Tiberius zu bezeichnen, und das tue ich natürlich auch nicht, aber ich weiß nicht, was mit einer bestimmten Sorte Mann an seiner Seite – ja, richtig, ich meine Saint-Just – noch aus ihm werden könnte.
    Tacitus beschreibt den Kaiser an einer Stelle so: »… ohne Mitleid, ohne Zorn, verschließt er sich strikt jeglicher emotionaler Anfechtung.«
    Das kam mir bekannt vor.
    Der Vieux Cordelier , Nr. 3:
Nun da Worte als Verbrechen gegen den Staat gelten konnten, war es nur noch ein kleiner Schritt dahin, auch Blicke, Trauer, Mitleid,

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