Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
erleuchtete Schaufenster der Gefühle zu schauen. »Hör mal, Babette«, sagte er. »Was ich dich jetzt frage, ist sehr wichtig. Hat dir irgendjemand gesagt, dass du mir diese Geschichte heute erzählen sollst?«
»Nein, wie denn? Bis heute wusste doch niemand davon.«
»Weißt du, Elisabeth, wenn wir jetzt in einem Gerichtssaal wären, dann – dann würde ich dir eine Menge Fragen stellen.«
»Sie sind aber nicht in einem Gerichtssaal«, sagte Duplay, »sondern im Kreis Ihrer Familie. Ich habe Ihnen vor drei Jahren auf der Straße das Leben gerettet, und seit damals sorgen wir für Sie wie für unser eigenes Kind. Und für Ihre Schwester und Ihren Bruder Augustin – Sie waren Waisen und hatten nur einander, und wir haben unser Bestes getan, um Ihnen alles zu sein.«
»Ja.« In die Schranken gewiesen, setzte er sich ans Kopfende des Tisches, Elisabeth gegenüber. Mme Duplay streifte ihn leicht, als sie an ihm vorbei zu ihrer Tochter ging und sie in den Arm nahm. Elisabeth begann zu schluchzen, ein Geräusch, das ihm durch Mark und Bein ging.
Saint-Just räusperte sich. »Es tut mir leid, dich jetzt hier loseisen zu müssen, aber in einer Stunde findet ein Treffen zwischen unserem Ausschuss und dem Polizeiausschuss statt. Ich habe einen vorläufigen Bericht zu Danton verfasst, aber er muss noch ergänzt werden. »
»Duplay«, sagte Robespierre, »Sie werden verstehen, dass diese Angelegenheit nicht vor Gericht verhandelt werden kann. Das ist auch nicht nötig – angesichts der sonstigen Anklagen ist diese Sache vergleichsweise trivial. Sie werden bei dem Prozess gegen Danton nicht in der Jury sitzen. Ich werde Fouquier sagen, dass er Sie freistellen soll. Es wäre nicht gerecht.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, es wäre nicht richtig.«
»Bevor wir aufbrechen«, sagte Saint-Just, »– würdest du vielleicht hochgehen und deine Notizbücher holen?«
DIE TUILERIEN , acht Uhr abends: »Ich werde ganz offen mit Ihnen sprechen, Bürger«, sagte der Inquisitor. Robespierre wandte seine Aufmerksamkeit von Vadiers langem fahlem Gesicht auf dessen eigenartige Finger, die auf dem grün bezogenen ovalen Tisch wie besessen Papiere hin- und herschoben. »Ich werde offen mit Ihnen sprechen, und zwar im Namen Ihrer Kollegen sowie meiner Kollegen aus dem Polizeiausschuss.«
»Ich höre.« Sein Kiefer war angespannt. Seine Brust schmerzte. Er hatte Blut im Mund. Er wusste, was sie von ihm wollten.
»Sie werden mir zustimmen«, sagte Vadier, »dass Danton ein mächtiger und einfallsreicher Mann ist.«
»Ja.«
»Und ein Verräter.«
»Warum fragen Sie mich das? Das Tribunal wird entscheiden, was er ist.«
»Aber schon der Prozess an sich ist eine gefährliche Angelegenheit.«
»Ja.«
»Weshalb Vorkehrungen getroffen werden müssen.«
»Ja.«
»Und jeglicher Aspekt, der den Verlauf des Prozesses negativ beeinflussen könnte, muss berücksichtigt werden.«
Vadier interpretierte sein Schweigen als Zustimmung. Die Finger des Inquisitors krümmten sich ganz langsam, wie primitive Lebewesen. Sie formten eine Faust. Die Faust hieb auf den Tisch. »Wie können Sie dann von uns erwarten, dass wir diesen aristokratischen Journalisten weiter frei herumlaufen lassen? Wenn Danton seit ’89 einen verräterischen Kurs verfolgt, wie können Sie dann seinen engsten Gefährten entlasten? Vor der Revolution waren der Verräter Brissot und der Verräter d’Églantine seine Freunde. Nein, lassen Sie mich ausreden. Er ist nicht mit Mirabeau bekannt – und plötzlich zieht er bei ihm in Versailles ein. Monatelang – in genau den Monaten, in denen Mirabeau seinen Verrat plante – war er stets an seiner Seite. Er ist mittellos, unbekannt – und plötzlich diniert er Abend für Abend mit Orléans. Er war während Dantons Amtszeit als verräterisch gesinnter Justizminister dessen Staatssekretär. Er ist ein reicher Mann oder lebt zumindest wie einer – und sein Privatleben ist absolut indiskutabel.«
»Ja«, sagte Robespierre. »Und er hat am 12. Juli das Volk angeführt. Er hat das Fanal zum Aufstand gesetzt, und daraufhin ist die Bastille gefallen.«
»Wie können Sie diesen Mann entlasten?«, schrie Vadier ihn an. »Eine einzelne Person, zu der das irregeleitete Volk womöglich eine – eine emotionale Bindung hat?« Er schnaubte empört. »Und Sie meinen, er könnte auf freiem Fuß bleiben, während sein Freund Danton vor Gericht steht? Nur weil er sich vor fünf Jahren hat bestechen lassen, zu den Massen zu
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