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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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froh, dass Jeannette heute Nacht nicht da ist. Da, das war die Haustür.«
    Sie stellte sich mitten ins Zimmer. War sich der marionettenhaften Steifheit ihrer Gliedmaßen bewusst. Sie brachte kein Wort über die Lippen.
    »Suchen Sie mich?«, fragte Camille. Sie beobachtete ihn. Sie erinnerte sich an den 10. August, nach Suleaus Tod: Wie er sich gesäubert hatte und wieder in das Chaos auf der Straße hinausgegangen war. »Sie müssen mich fragen, wer ich bin«, sagte er zu dem Polizeibeamten. »Sind Sie Camille Desmoulins, müssen Sie fragen, Journalist und Abgeordneter des Nationalkonvents – so als gäbe es mich noch ein zweites Mal in ähnlicher Form.«
    »Hören Sie zu, es ist sehr früh am Morgen«, sagte der Mann. »Ich weiß ganz genau, wer Sie sind und dass es Sie nur einmal gibt. Hier ist der Haftbefehl, falls er Sie interessiert.«
    »Darf ich mich noch von meinem kleinen Sohn verabschieden?«
    »Nur in unserer Begleitung.«
    »Ich möchte ihn nicht wecken. Kann ich nicht einen Augenblick für mich haben?«
    Die Männer verteilten sich im Raum, nahmen vor Türen und Fenstern Aufstellung. »Letzte Woche«, sagte der Polizeibeamte, »wollte ein Mann seiner Tochter noch einen Abschiedskuss geben, und dann hat er sich eine Kugel durch den Kopf gejagt. Und auf der anderen Seite des Flusses ist ein Mann aus dem Fenster gesprungen, aus dem vierten Stock, und hat sich das Genick gebrochen.«
    »Man fragt sich wirklich, wieso er sich die Mühe gemacht hat«, sagte Camille. »Wo der Staat das doch für ihn erledigt hätte.«
    »Machen Sie uns keinen Ärger«, sagte der Mann.
    »Nein, versprochen.«
    »Steck ein paar Bücher ein.« Die demonstrative Tapferkeit in ihrer Stimme erschreckte Lucile. »Sonst wirst du dich langweilen.«
    »Ja, das mache ich.«
    »Also, beeilen Sie sich.« Der Polizeibeamte legte Camille die Hand auf den Arm.
    »Nein.« Sie warf sich an Camilles Brust, schlang die Arme um ihn. Sie küssten sich. »Los jetzt«, sagte der Polizeibeamte. »Lassen Sie ihn gehen, Bürgerin.« Aber sie klammerte sich nur noch fester an ihn, versuchte die Hand auf ihrem Arm abzuschütteln. Im nächsten Moment zog der Beamte sie weg. Sie verpasste ihm einen Kinnhaken und spürte, wie der Stoß ihren eigenen Körper erschütterte, doch als ihr Kopf dann auf dem Boden aufschlug, fühlte sie nichts. Als wäre ich eine Fliege, dachte sie, oder ein Vögelchen: Ich werde einfach weggewischt, zerdrückt.
    Sie war allein. Man hatte ihn hinausbugsiert, aus dem Zimmer, die Treppe hinunter, aus dem Haus. Sie richtete sich auf. Sie war unversehrt. Sie nahm ein Kissen vom Sofa, presste es an sich, wiegte sich mit leerem Blick vor und zurück: Der Schrei, den sie hatte ausstoßen, die Liebesworte, die sie hatte sagen wollen, steckten in ihrer Kehle, wie festgeschmiedet. Sie wiegte sich vor und zurück. Was nun? Sie musste sich anziehen. Sie musste Briefe schreiben und sie überbringen. Sie musste mit jedem Abgeordneten, mit jedem Ausschussmitglied sprechen. Sie weiß, dass sie alle Hebel in Bewegung setzen muss. Sie muss handeln. Sie wiegt sich vor und zurück. Es gibt die Welt, und es gibt die Schattenspielwelt; es gibt die Welt der Freiheit und der Illusion, und dann gibt es die reale Welt, in der wir Jahr für Jahr zusehen können, wie die Menschen, die wir lieben, auf ihren Ketten herumhämmern. Sie erhebt sich vom Boden und spürt, wie die Fußfesseln ihr ins Fleisch schneiden. Ich bin an dich gebunden, denkt sie. Gebunden.
     
    Nebenan in der Cour du Commerce drehte Danton den Haftbefehl um und las ihn mit einem gewissen Interesse. Doch er hatte es eilig. Er fragte nicht, ob er sich von seinen Kindern verabschieden dürfe, und küsste seine Frau eher beiläufig auf den Scheitel. »Je eher ich gehe, desto eher bin ich wieder da«, sagte er. »Wir sehen uns in ein oder zwei Tagen.« Unter Bewachung trat er forsch auf die Straße hinaus.
     
    ACHT UHR MORGENS in den Tuilerien: »Sie wollten uns sprechen«, sagte Fouquier-Tinville.
    »Ah ja.« Saint-Just blickte auf und lächelte.
    »Wir hatten eigentlich mit Robespierre gerechnet«, sagte Hermann.
    »Nein, Bürger Präsident: ich. Irgendwelche Einwände?« Er bot ihnen keinen Platz an. »Heute Morgen in aller Frühe haben wir vier Personen verhaftet: Danton, Desmoulins, Lacroix und Philippeaux. Ich habe einen Bericht über den Fall aufgesetzt, den ich später dem Konvent vorlegen werde. Sie für Ihr Teil werden mit den Vorbreitungen für den Prozess beginnen – lassen Sie

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