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Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
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wieder hier. Ich habe ihn gestern in Gesellschaft dieses wandelnden Ungezieferherds Jean-Paul Marat getroffen – wie, Sie kennen den Doktor nicht? Nicht schade drum, der Mann hat ein Vorstrafenregister in halb Europa.«
    »Das spricht noch nicht gegen ihn«, sagte d’Anton.
    »Aber er hat eine lange Geschichte als, ja, als Betrüger. Er war der Arzt der Leibgarde des Grafen von Artois, und angeblich hatte er eine Marquise zur Geliebten.«
    »Was Sie ihm natürlich nicht glauben können.«
    »Hören Sie, für meine Geburt kann ich nichts«, sagte Hérault aufbrausend. »Ich versuche ja schon, Abbitte zu leisten – soll ich es vielleicht machen wie Mlle de Kéralio und einen Laden eröffnen? Oder bei Ihrem Metzger den Boden schrubben?« Er brach ab. »Nein, so sollte man nicht reden, so unbeherrscht. Das muss die Luft in diesem Distrikt sein. Passen Sie auf, Marat wird herziehen wollen.«
    »Aber wieso ist dieser Herr ein Ungezieferherd? Haben Sie das bildlich gemeint?«
    »Nein, buchstäblich. Dieser Mann hat sein Leben weggeworfen, einfach alles hingeworfen, und zieht stattdessen als eine Art Landstreicher durch die Gegend.« Hérault schauderte; die Geschichte beschäftigte ihn anscheinend furchtbar.
    »Was macht er?«
    »Wie es aussieht, hat er sich dem Umsturz aller Dinge verschrieben.«
    »Dem Umsturz aller Dinge, so, so. Einträgliches Geschäft. Genau die Laufbahn, zu der man seinem Sohn raten würde.«
    »Jedes Wort daran ist wahr – aber lassen wir das, ich komme vom Thema ab. Sie müssen etwas wegen Camille unternehmen, und zwar schnell –«
    »Dieser Camille«, sagte Legendre. Und er ließ einen Ausdruck folgen, den er seit seinen Tagen bei der Handelsmarine höchst selten gebrauchte.
    »Sie sagen es«, bemerkte Hérault. »Aber von der Polizei aufgreifen lassen wollen wir ihn doch auch nicht. Überall im Palais Royal stehen die Leute auf Stühlen und halten Brandreden. Ich weiß nicht, ob er jetzt dort ist, aber er war gestern da, und vorgestern auch –«
    »Camille hält Reden ?«
    Das klang kaum glaublich – und doch denkbar. Ein Bild kam d’Anton in den Kopf: spätnachts, vor ein paar Wochen. Fabre hatte getrunken. Sie alle hatten getrunken. Wir werden in der Öffentlichkeit stehen, sagte Fabre. Weißt du noch, d’Anton, sagte er, was ich dir bei unserer ersten Begegnung über deine Stimme gesagt habe, damals, als du noch ein Junge warst? Ich habe dir gesagt, du musst in der Lage sein, über Stunden zu sprechen, du musst deine Stimme von hier holen, von hier – ja, du bist gut, aber so gut auch wieder nicht. Gerichtssäle sind eine Sache, aber wir sind dabei, den Gerichtssälen zu entwachsen.
    Fabre stand auf. Er legte d’Anton die Fingerspitzen an die Schläfen. »Leg deine Finger hierher«, sagte er. »Spür die Schwingung. Leg sie hierhin – und hierhin.« Er stocherte d’Anton im Gesicht herum: unter den Backenknochen, am Kinnansatz. »Ich werde dir Unterricht geben wie einem Schauspieler«, verkündete er. »Diese Stadt ist unsere Bühne.«
    Camille sagte: »Hesekiel. ›Die Stadt ist der Topf, wir sind das Fleisch.‹«
    Fabre drehte sich zu ihm um. »Dieses Stottern«, sagte er. »Das müsste nicht sein.«
    Camille deckte sich die Hand übers Gesicht. »Lasst mich in Ruhe.«
    »Selbst aus dir.« In Fabres Augen glitzerte es. »Selbst aus dir werde ich etwas machen.«
    Mit einem Satz war er bei Camille und zerrte ihn halb aus seinem Stuhl hoch. Er packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn. »Du wirst wie ein normaler Mensch reden«, sagte er. »Und wenn wir alle dabei draufgehen.«
    Camille versuchte den Kopf mit den Armen abzuschirmen. Fabre malträtierte ihn weiter; d’Anton war zu müde, um einzuschreiten.
    Jetzt, im hellen Sonnenlicht dieses Aprilnachmittags, fragte er sich, ob die Szene sich wirklich so abgespielt hatte. Nichtsdestoweniger setzte er sich in Bewegung.
    Die Gärten des Palais Royal waren brechend voll. Hier schien es noch heißer als überall sonst, fast hochsommerlich. Sämtliche Läden in den Arkaden hatten geöffnet und trieben flotten Handel, die Leute diskutierten, lachten, schlenderten. Die Makler von der Börse hatten sich ihrer Krawatten entledigt und schlürften Limonade, die Cafébesucher bevölkerten die Gärten und fächelten sich mit ihren Hüten Kühlung zu. Junge Mädchen führten ihre Sommerkleider spazieren und verglichen sie mit denen der Nutten, die aufs Mittagsgeschäft setzten und in Scharen unterwegs waren. Streunende Hunde jagten

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