Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Schwester Charlotte. »Und die bei deinem Handschuhmacher auch. Wo du doch immer sagst, er sei so ein vorzüglicher Handschuhmacher. Ich wünschte, du würdest nicht in der Stadt herumlaufen, als wolltest du für immer von hier fortgehen.«
»Soll ich lieber mitten in der Nacht zum Fenster hinausklettern, mit einem gepunkteten Taschentuch mit all meiner Habe darin? Dann könntest du allen erzählen, ich hätte heimlich auf einem Schiff angeheuert.«
Aber Charlotte ließ sich nicht beschwichtigen, Schnitt um Schnitt machte das Familienmesser: »Sie erwarten, dass du vorher deine Angelegenheiten regelst.«
»Du meinst Anaïs?« Er sah von dem Brief auf, den er an einen alten Schulfreund schrieb. »Sie sagte, es macht ihr nichts aus zu warten.«
»Sie wird nicht warten. Ich weiß, wie die Mädchen sind. Mein Rat an dich lautet: Vergiss sie.«
»Ich bin immer dankbar für deinen Rat.«
Sie warf den Kopf in den Nacken und funkelte ihn an, weil sie Sarkasmus witterte. Aber sein Gesicht verriet nur Besorgnis um sie. Er wandte sich wieder seinem Brief zu:
Mein lieber Camille!
Ich hoffe, es überrascht Dich nicht allzu sehr, zu hören, dass ich auf dem Weg nach Versailles bin. Ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue …
Maximilien de Robespierre 1789, im Fall Dupond:
Der Lohn des Rechtschaffenen ist die Gewissheit, nach dem Besten für seine Mitmenschen gestrebt zu haben; dem folgt die Hochachtung der Nationen, die sein Gedenken umgibt, und die Ehrung durch seine Zeitgenossen … Ich wünsche mir, diesen Lohn verdienen zu können, auch um den Preis lebenslanger Mühen, ja selbst um den Preis eines frühzeitigen Todes.
PARIS : Am 1. April ging d’Anton zur Wahl in die Cordeliers-Kirche – Cordeliers hießen bei den Parisern die Franziskanermönche. Mit ihm ging der Metzgermeister Legendre, ein großer, ungeschlachter Mann ohne jede Schulbildung, der sich immer d’Antons Meinung anschloss.
»Also, jemand wie du …«, hatte Fréron in wohlbedachtem Schmeichelton begonnen.
»Jemand wie ich kann es sich nicht leisten zu kandidieren«, sagte d’Anton. »Sie zahlen den Abgeordneten eine Aufwandsvergütung von wie viel – achtzehn Francs pro Sitzungsperiode? Und ich müsste in Versailles leben. Ich habe eine Familie zu versorgen, ich kann meine Kanzlei nicht brachliegen lassen.«
»Aber enttäuscht bist du doch«, insistierte Fréron.
»Möglich.«
Die Wähler gingen nicht wieder heim; sie standen in Grüppchen vor der Kirche, schwatzten, gaben Prognosen ab. Fabre besaß keine Stimme, weil er nicht genug Steuern bezahlte, und das machte ihn gehässig. »Warum können wir nicht das gleiche Wahlrecht haben wie die Provinzen?«, wollte er wissen. »Ich sage euch, was der Grund ist, sie sehen Paris als einen Hort der Gefahren, sie haben Angst vor dem, was passieren würde, wenn wir alle wählen dürften.« Er stürzte sich in eine aufwieglerische Unterhaltung mit dem trutzigen Marquis de Saint-Huruge. Louise Robert hatte den Laden geschlossen und stand Arm in Arm mit François; sie war geschminkt, und das Kleid, das sie trug, stammte noch aus besseren Tagen.
»Und was erst passieren würde, wenn Frauen wählen dürften!«, sagte sie. Sie sah zu d’Anton empor. »Maître d’Anton findet, Frauen haben eine Menge zur Politik beizutragen, nicht wahr?«
»Stimmt nicht«, sagte er milde.
»Das ganze Viertel ist auf den Beinen«, sagte Legendre. Er war vergnügt. Er war in seiner Jugend zur See gefahren; umso heimatverbundener fühlte er sich jetzt.
Am Nachmittag ein Überraschungsgast: Hérault de Séchelles.
»Wollte doch mal sehen, wie die wilden Männer bei den Cordeliers wählen«, sagte er, aber d’Anton hatte den Eindruck, dass er eigentlich ihn suchte. Hérault nahm eine Prise Schnupftabak aus einem Döschen mit einem Bild von Voltaire auf dem Deckel. Er drehte das Döschen genießerisch zwischen den Fingern, bot Legendre davon an.
»Das ist unser Metzger«, sagte d’Anton mit einem Hauch Schadenfreude.
»Sehr erfreut.« Héraults liebenswürdige Züge verrieten keinerlei Befremden, aber hinterher beobachtete d’Anton, wie er seine Manschetten verstohlen auf Spuren von Ochsenblut oder Gedärmen untersuchte. Er wandte sich an d’Anton: »Waren Sie heute im Palais Royal?«
»Nein, ich höre, dort gab es Unruhen …«
»So ist’s recht, halt dich schön aus allem raus«, murrte Louise Robert.
»Dann haben Sie auch Camille nicht gesehen?«
»Camille ist in Guise.«
»Nein, er ist
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