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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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dachte, das Mädchen da vor ihr sei aber selbstvergessen, oder sei sogar ein bißchen meschugge, zeigte sich verwundert über Brittas dann folgende Bestellung, die lautete: »Sechs Brötchen, und drei Stück von dem Apfelkuchen, aber wenn’s geht, bitte nicht das da vorn, an dem was fehlt.«
    Britta hielt inne und vertrat sich die Beine. Sie vernahm Flaschengeklirr und Wortgeschwirr, Richard Devantiers dröhnende Stimme meinte sie herauszuhören aus der Runde an dem Lagerfeuer, das draußen entzündet worden war, aber ja, endlich hatte es mal aufgehört zu regnen, gleich schickte man dem gütigen Himmel ein flammendes Signal zum Gruße.
    Jetzt fünf Bälle, da war schon mehr Konzentration vonnöten. Sie zwang sich, mit den Händen den Kugeln nicht hinterherzugehen, denn wenn sie’s einmal täte, würde sie bald auf Zehenspitzen stehen, würde über Kopf jonglieren, würde in Genickstarre fallen – und schließlich keinen Ball mehr kriegen. Eine Weile klappte es gut, die Bälle flogen so perfekt, als hingen sie in einem unsichtbaren, sich wie wild drehenden Laufrad, aber dann begann Britta, ihre Bewegungen zu sehr zu kontrollieren, und die erste Kugel klackte auf die Plane. Sie ließ absichtlich auch die anderen fallen und spreizte zur Entspannung die Finger, sie erinnerte sich Marty Handys Ausspruch, erst der Jongleur, der nicht mehr spüre, wie er achtgebe, gebe richtig acht und sei ein richtiger Jongleur.
    Marty, wie ihr seine freundliche, gütige Hilfestellung doch fehlte! Sie hatte ihm im Winterquartier, zwischen den Arbeiten, die sie verrichten mußte, ab und zu über die Schulter gesehen, und er hatte sie eines Tages in väterlichem Tonfall gefragt, ob sie vielleicht selber mal probieren wolle. Und schon hatte sie einen Ball in der Hand gehabt. »Weich, mitgehen, und sanft, und mit«, rief er, Brittas Hand führend, dann während ihrer ersten ernsthaften Wurf- und Fangübungen. Beim nächsten Mal ersetzte er den Ball durch ein rohes Ei. Dessen schlieriges Gelb rann ihr gleich beim zweiten oder dritten Aufprall durch die Finger. »Macht nichts«, nickte Marty und gab ihr ein neues, er hatte eine ganze Batterie Eier herbeigeschafft. Außerdem kam er mit einem großen, alten, wurmstichigen Bilderrahmen an, den er in zwei Hälften sägte. Mit den Worten, »rechter Winkel, hier, so, das muß dir in Fleisch und Blut übergehen«, band er die Teile in Ellbogenhöhe an Brittas Armen fest, und als seine Schülerin schon nach wenigen Sekunden mit ihren Armen instinktiv zur Seite ausbüxte und die Hölzer zu knarren begannen, rief er ein wenig lauter: »Knochen beisammenhalten, halt die Knochen beisammen!« Aber sogar das Laute erschien ihr fürsorglich, vielleicht, weil sie damals schon wußte, Marty hatte eine Tochter in ihrem Alter, die er nie sah, denn seine Frau hatte sich, das Zirkusleben verachtend, schon vor einer halben Ewigkeit von ihm scheiden lassen und enthielt ihm das Kind nun mit teuflischer Systematik vor, sie entfremdete Marty der Tochter, indem sie ihn aus der Entfernung immer wieder zu einer Karikatur herabwürdigte. Eine neue Gefährtin aber hatte er nicht gefunden oder gar nicht erst finden wollen, er war ein glatzköpfiger, etwas dicklicher Mann mit wäßrigem Blick, den eine Aura von Traurigkeit umgab. Britta spürte, sie diente ihm als Tochter-Ersatz, aber es störte sie nicht. Sie fühlte sich geborgen bei ihm. Außerdem konnte sie wirklich eine Menge von Marty lernen. Einmal nach der Keulenarbeit hatten ihr plötzlich die Handflächen weh getan, so sehr, daß sie aufschreien mußte, als ihr die Kassiererin im Konsum mit gebogenem Daumen ein paar Pfennige daraufdrückte. Sie erzählte es ihm. Er wußte sofort, die Keulen waren falsch aufgekommen und hatten die Nerven wund geschlagen. Er verordnete Britta eine Pause und sorgte anschließend dafür, daß sie den Keulen beim Abwurf ein wenig mehr Drehung verpaßte, wodurch er ihr wie von selbst ein besseres Fangen ermöglichte. Für Britta war das alles nicht mehr als eine erfreuliche Abwechslung vom Tierefüttern, Stallausmisten, Fleischbesorgen gewesen. Sie hatte damit keine Absicht verbunden. Aber je mehr und je schneller sie lernte, und je mehr und je schneller Marty zu seiner Bestürzung im Rampenlicht nachließ, um so mehr vermutete er doch eine bestimmte Absicht, und diese Absicht gefiel ihm ganz und gar nicht. Unaufhaltsam zog er sich, nicht ohne noch trauriger zu werden, von Britta zurück: Erst reduzierte er unter Verwendung diverser

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