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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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Ausflüchte ihr gemeinsames Training, dann stellte er jede noch so kleine Hilfe ein. Was Britta mißverstand. Sie glaubte, Marty sterbe in ihrer Gegenwart vor Sehnsucht nach seiner Tochter. So hielt auch sie sich zurück und folgte nicht ihrem Wunsch, ihn um weitere Übungsstunden zu bitten. Marty aber nahm es als Abkehr und schlußfolgerte, seine Schülerin sei ungerührt, kaltschnäuzig und berechnend. Und hatte er das insgeheim nicht sowieso von ihr erwartet? Sogar ersehnt hatte er es, denn ein Mann wie er, der muß sich immer neuen Schmerz zufüttern, nur dann bleibt die Trauer schwer genug, um ihm weiter fühlbar in den Gedärmen zu liegen.
    Sie warf die Bälle beiseite und nahm die Keulen, fünf Stück. Um von drei auf fünf zu erhöhen, so hatte Marty ihr erzählt, habe er einst anderthalb Jahre gebraucht. Seit Brittas eher flüchtigem Trainingsbeginn war aber erst ein dreiviertel Jahr vergangen. Also hatte sie in der Hälfte der Zeit das Doppelte geschafft, also besaß sie wohl unverschämtes Talent! Sie hob ein Bein, streckte eine Hand nach unten, warf eine Keule hindurch und versuchte, diese mit der anderen Hand zu fangen – sie wußte, das war schon die erste Übung der Hohen Schule, aber glücklicherweise dachte sie nicht weiter darüber nach, so blieb ihr Wissen leicht und luftig und beschwerte sie nicht.
    Im Dämmerlicht flogen die Keulen wie gegrillte Schenkel durch die Luft. Sie verfehlte sie beim Fassen immer wieder, was sie der Einfachheit halber auf die Dunkelheit schob. Sie lief die Ränge hinauf zu dem Podest, wo die Instrumente der »Strombolis« standen und der Kasten mit den Lichtschaltern hing, und knipste ein paar Scheinwerfer an – ausnahmsweise, sagte sie sich im stillen; Devantier mahnte ja regelmäßig, nichts zu vergeuden, kein Wasser, keinen Strom, schließlich sei er kein FDGB-Heim, schließlich wolle er sich nicht dumm und dämlich zahlen.
    Britta hatte die Geräte noch nicht wieder in die Hand genommen, da stand Devantier schon vor ihr: »Hast du Knete im Hirn? Warum ist das Licht aufgedreht? Haben wir noch ’ne Vorführung heute nacht, ist mir da vielleicht was entgangen?«
    »Was brüllen Sie mich so an«, entfuhr es Britta. Sie hatte in den vergangenen Monaten zwar erlebt, wie er während seiner plötzlichen Wutanfälle die Mitarbeiter abkanzelte, war aber selbst, aus welchen Gründen auch immer, bislang davon verschont geblieben.
    »Was ich so brülle?« Devantier zeigte sich verdattert, er war es wohl gar nicht gewohnt, daß jemand wagte, ihm Widerworte zu geben.
    »Sie drangsalieren hier jeden, aber mich drangsalieren Sie nicht«, rief Britta mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Trotz.
    Devantier starrte sie ein paar Sekunden an und nickte dann. Es war ein anerkennendes Nicken, denn während er sich rabiat und beleidigend gebärdete, wartete er zugleich immer darauf, daß jemand ihn stoppe; solange aber niemand es tat, wurde er nur um so wütender und kränkender, es reizte ihn, herauszubekommen, wie weit er noch gehen konnte, ein satanisches Vergnügen, von dem er nicht lassen konnte, obwohl er sich jedesmal durchaus schäbig fühlte, wenn er wieder einmal jemanden gestraft, rasiert, gedemütigt hatte. Sie sollten sich wehren, die erbärmlichen Feiglinge, und wenn sie sich nicht wehrten, sollten sie seine Knute spüren, immer noch schmerzhafter und versengender, oder hatten sie es vielleicht anders verdient?
    »So, na – was treibst du dann eigentlich hier?« fragte er halbwegs friedlich.
    Britta erklärte es ihm. Daraufhin erkundigte sich Devantier, der im groben Bescheid wußte über ihr Jongliertraining, wie weit sie mittlerweile sei, aber als sie es ihm auseinanderzusetzen versuchte, zeigte er auf die am Boden liegenden Bälle und Keulen und forderte Britta auf, es ihm vorzuführen.
    Sie bückte sich nach den Geräten, richtete sich wieder auf. Danach warf sie ihre langen blonden Haare, die ihr ins Gesicht gefallen waren, mit einer jähen Bewegung zurück; blitzend und gewagt sah das aus, aber auch schlicht und natürlich, wie hatte sie das hingekriegt? Ein plötzliches Drehen der Hüfte war der Auslöser gewesen, ein kurzes Verwringen des Oberkörpers war übergangslos gefolgt. Wie von einer Feder hochgeschnippt der Kopf. Dann erst das leuchtende Aufwallen der Mähne und deren himmlisches Fallen, dann erst.
    Der Direktor aber nahm alles, was da unmittelbar vor ihm zusammenfloß zu einem Bild der Herrlichkeit, scheinbar ungerührt hin, er wirkte professionell wie

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