Brüder und Schwestern
Ausland auf Interesse stoßen, müssen sie intensiv beworben werden, zum Beispiel auf internationalen Messen. Und ob Sie es glauben oder nicht, man nimmt dort durchaus Kenntnis von uns, ich weiß das, ich bin nämlich für die Anmietung, den Aufbau und die Ausgestaltung der Gemeinschaftsstände unserer Kombinate zuständig.« Eigentlich hatte er damit alles erklärt, aber er schob noch etwas nach, er sagte: »Da heißt es natürlich, viel zu reisen …« Und er senkte den Kopf, um nicht zuviel Stolz hervorlugen zu lassen, Stolz, der in dieser Sekunde und vor diesen Leuten ein Kind der Gegenwehr war und ein Bruder des Trotzes.
Der Ingenieur kannte, wie sich nun herausstellte, die wichtigsten Messeorte dieser Welt, als da waren »Hannover, Delhi, Innsbruck, Paris, Damaskus«. Er bemaß Erik mit seinem spöttischen Blick und fügte seiner Aufzählung salbungsvoll hinzu: »Bist du artig hier zuhaus, darfst du in den Westen raus.«
Erik nannte die von ihm tatsächlich frequentierten Orte und genoß die Überraschung, die er damit hervorrief.
»So ist also auch Ihr Wirkungsgebiet recht eingeschränkt«, sagte nämlich der Ingenieur in anerkennendem Ton, »wie kommt’s denn?«
Wenn ich euch das sagen würde, ihr tätet vielleicht staunen, dachte Erik. Aber er durfte es ja nicht sagen, alles konnte er erzählen, aber nicht das, er hatte ein ganz bestimmtes Handschuhfach vor Augen und eine Pistole, er kam sich bedroht vor in diesem Moment und teilte die Bedrohung dem fremden Pärchen mit, indem er vielsagend die Augenbrauen hob. Und die beiden, sie fragten tatsächlich nicht weiter, sie nickten, nickten auf eine verständnisvolle und respektvolle Art, und Erik wurde ganz warm ums Herz ob dieses doch ziemlich unverhofften Einvernehmens.
Holzfrei mit Holzanteil
Mit letztem Stolz wehrten sich die Häuser gegen ihren Einsturz. Sie streiften sich den Putz ab, der sowieso nur in Fetzen an ihnen hing, der sie bloß beschwerte und nicht mehr beschützte oder gar verzierte, und zeigten ihre lange verborgenen ehrwürdigen Geburtsstempel her: Besohlungs-Werkstatt, Bade-Anstalt, Bügeln & Plätten. In Anfällen von Bosheit ließen sie Dachziegel auf schuldige wie unschuldige Passanten fallen. Abgenagte, wie im Boxring zugerichtete Stuckgesichter über den morschen Eingangstüren grimassierten dazu, während die Marmorböden drinnen vorwurfsvoll schweigend in den Untergrund sanken. Letzte kleine Aufmerksamkeiten jener totgeweihten Behausungen für ihre resistenten Bewohner: Das blanke Mauerwerk tut ein neues Loch auf, da paßt genau der Lenkergriff eines anlehnungsbedürftigen Mifa-Rades hinein. Eine zitternde Fensterscheibe wird zum Wecker, sobald am Morgen die erste U-Bahn über die Stelzen auf der nahen Schönhauser rollt. Ein abgeklemmtes Elektrokabel löst sich aus pudrigem Gips und zeigt sich in Kopfhöhe, beinahe begierig, sich um ein Paket wickeln zu lassen, das von hier, dem Prenzlauer Berg in Berlin, irgendwohin geschickt wird …
Die Gegend bot auch Willy und Veronika Gapp etwas Schönes und durchaus Wichtiges, eine leerstehende Wohnung in der Dunckerstraße. Sie hatten sich darauf verständigt, so eine zu suchen und zu okkupieren, nachdem Willy von Zeiller klargemacht worden war, daß ihre Treffen im Gästehaus großartigen Stoff für Klatsch und Tratsch boten. Ihre Affäre war längst zu einer Gefahr geworden – allerdings nur für Willy, der nicht zu Unrecht befürchtete, sie könne sich bis zum »Aufbruch« und von dort auch noch das kleine Stück bis nach Hause herumsprechen, und nicht für Veronika Gapp, obwohl die, Sekretärin Weitermanns im »Metropolenverlag«, ja in Berlin wohnte und ebenso einen Ehering trug wie Willy. Aber warum nicht auch, oder mehr noch, für sie? Weil ihr Mann längst Bescheid wußte. Weil er sogar damit einverstanden war, daß seine Frau in ein anderes Bett als in ihr gemeinsames stieg, zumindest gab er das vor. Aber du lieber Himmel, wie konnte er denn einverstanden sein, was war das bloß für ein Mann? Ein Feigling, ein Weichei? Gerade das Gegenteil war er, selber hatte er die Ausschweifung geliebt, früher mal, und so offensichtlich, so frech, so gewissenlos hatte er sich ihr hingegeben, daß Veronika, die wahrlich nicht auf den Mund gefallen war, irgendwann die Worte gefehlt hatten. Doch war alles auf einen Schlag, mit einem Aufprall seines Wartburgs gegen einen unbeleuchteten LKW-Hänger, vorbei gewesen. Er saß fortan im Rollstuhl und konnte seiner noch jungen Gattin nicht mehr
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