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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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ungerecht, aber eben auch nicht mehr gerecht werden, und so fürchtete er, sie werde sich bald von ihm abwenden und davongehen, ihm auf diese Weise auch alles heimzahlen. Andererseits baute er durchaus auf ihr Mitleid sowie auf die Wirkung eines verborgenen Mutterinstinkts, sie würde ihn doch versorgen, seine Veronika? Und siehe, er sollte recht behalten. Sie kümmerte sich geduldig und verließ ihn nicht. Was aber ihre Gründe betraf, so irrte er gewaltig. Veronika Gapp handelte, oder verharrte, beileibe nicht aus Großzügigkeit und auch nicht nur aus Mitleid, sondern vor allem, weil sie ahnte, sie würde sich ihr Leben lang schuldig fühlen, wenn sie die Tür hinter sich zuschlüge. Jawohl, die Angst vor den Folgen einer einmal begangenen Bösartigkeit war’s, die bei ihr Treue und Aufopferungswillen hervorriefen, nicht die Strahlkraft des Guten; das hätten die Menschen gern, daß es diese Strahlkraft sei, die sie leite, aber meistens ist’s doch nur die schnöde Angst.
    Sie bliebe, erklärte sie also ihrem Gatten nach dem Unfall, bloß wolle sie der Ehrlichkeit halber hinzufügen, es werde ihr kaum gelingen, auf eine bestimmte Befriedigung zu verzichten; sie besaß wirklich die Fähigkeit, auf neue Situationen blitzschnell und souverän zu reagieren, diese Veronika Gapp. Nach ihrem recht deutlichen Hinweis, sexuelle Enthaltsamkeit beim besten Willen nicht garantieren zu können, wußte ihr Gatte, sie würde sich jene Befriedigung auf jeden Fall holen, und so bat er sie aus Angst, sie könne querbeet marschieren und ihn mit genau der schmutzigen Wahllosigkeit quälen, die er selber einst an den Tag gelegt hatte, ob sie ihren Spaß sich bei einem, einem einzigen abzuzapfen bereit wäre und nicht bei so grauenhaft vielen, denn diese vielen beziehungsweise das Wissen um sie, das würde ihn doch arg belasten und, wie er sich ausdrückte, »irgendwie zusätzlich entwerten«. Kurzum, er wünschte eine ihn beruhigende Ordnung. Veronika sagte sie ihm zu, allerdings wieder nicht aus Großzügigkeit und auch nicht aus Mitleid und erst recht nicht wegen der verschwindend geringen Kontrollmöglichkeiten ihres Gatten, sondern, weil sie doch längst einen einzigen im Blick hatte, und nicht nur im Blick: Willy war damals schon mit ihr zusammengewesen, sie erinnerte sich gern der verrückten Nacht von Ahlbeck, in der Zeiller, als wäre er ein säbelschwingender, die Truppen anführender Feldherr, mit seinem geradezu verwegenen Vorpreschen und Blankziehen für eine allgemein erregte Stimmung gesorgt hatte, in der noch dieser und diese und jener und jene wie von selbst aufeinander zuliefen und übereinander herfielen, die meisten am nächsten Morgen peinlich berührt, aber eben nicht Willy und sie.
    Die Wohnung befand sich im zweiten Stock des Hinterhofes und ließ sich mir nichts dir nichts kapern. Willy mußte nur das Schloß herausbrechen – wobei es sich eher um ein Anstupsen des Schlosses mit dem durchgedrückten Zeigefinger handelte. Und schon war es locker und konnte entfernt werden. Allerdings blieben sie dabei nicht ungestört, denn gerade im Moment des Türe-Entsperrens hörten Willy und Veronika jemanden die Treppe hinuntersteigen. Sie fuhren erschrocken herum und erblickten einen jungen Mann mit schulterlangen, zum Zopf gebundenen Haaren. Er trug eine Drahtbrille, deren Gläser nur unwesentlich größer waren als seine Augen. Und wie schauten diese? Freundlich, wie Willy und Veronika zu ihrer großen Erleichterung feststellten. Und nun hob der Mann auch beschwichtigend seine Hand und sagte auf gewählte Art: »Lassen Sie sich getrost Zeit. Haben Sie keine Sorge, niemand im Hause wird sich daran stören, wenn Sie hier auf diese Weise Quartier nehmen.«
    Veronika schaute ebenso freundlich, aber auch ein wenig herausfordernd zurück und erwiderte: »Niemand stört – na, darauf Ihr Wort, junger Mann!« Dabei streckte sie ihm ihre Hand entgegen, nicht ohne sie ein klein wenig abzuknicken, wodurch ihre forsche Geste etwas Elegantes und sogar Huldvolles bekam.
    Willy blickte sie von der Seite an, und das reine Entzücken stand ihm ins Gesicht geschrieben. Oh, er liebte diese Entschiedenheit und Schlagfertigkeit Veronikas, liebte sie fast, aber nur fast genauso wie ihren Körper, und so wie dieser Körper ihn regelmäßig zu den besten Taten inspirierte, forderte ihn ihre Entschlußfreudigkeit dazu heraus, sich in ihrer Nähe gleichfalls bestimmend und willensstark zu zeigen; und daß er sich so zeigte, beglückte ihn

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