Brüder und Schwestern
Westgeld zahlen würde. Also? Ich antworte … ich antworte folgendermaßen: Ich würde zahlen, jawohl, würde ich. Aber ich würde es ohne Enthusiasmus tun, ohne Verständnis. Und das ist das Entscheidende: Im Grunde meines Herzens verstehe ich diese Forderung meiner Leute doch gar nicht. Den ständigen Drang nach diesem Geld. Er ist mir fremd. Als ob man nicht ohne das leben könnte! Gäbe es dieses Geld nicht – würden wir doch auch leben. Ich habe es ja auch nicht. Und ich lebe! Wenn ich ehrlich bin, widert er mich sogar an, dieser Drang, richtig, er widert mich an. Die Menschen denken, es erhebe sie, wenn sie dieses Geld oder die Waren, die sie damit erworben haben, in den Händen halten; diese strahlenden Augen, diese bebenden Nüstern, dieser unglaubliche Triumph in der ganzen Haltung beim Ausmarsch aus dem Intershop, ich hab’s ja gesehn in Berlin, ich hab’s gesehn, aber mir kamen sie gerade in diesen Augenblicken alle dumm und kleinkariert vor, so gebeugt im Aufrechtlaufen, so stumpf in ihrem Westglanz. Nein, ich verstehe nicht, wie sie ihr Leben nur danach ausrichten können, das ist die Wahrheit. Aber wenn das die Wahrheit ist, warum soll ich dann ihren Drang eigentlich unterstützen? Er erscheint mir falsch, also wäre es doch nur konsequent, ihrer Forderung nicht zuzustimmen. Richtig, ich muß mich dagegen wenden, das ist jetzt meine feste Überzeugung. Und dazu, ich komme auf Zeiller zurück, brauche ich Zeiller gar nicht, ich sehe wirklich nicht die geringste Veranlassung, warum ich mit ihm telefonieren sollte. Vielmehr muß ich alles allein regeln, und zwar gleich morgen früh, ich werde Dietrich Kluge zu mir bestellen und ihm klipp und klar sagen, seinem Ersuchen könne nicht stattgegeben werden, und basta! Ohne Berlin! Ohne überflüssiges Gequatsche! Ganz allein und ganz konsequent!
Mit diesen Gedanken kehrte Willy nach Hause zurück. Dort war schon alles dunkel, Ruth schien zu schlafen. Er entkleidete sich, kroch leise unter seine Decke, hörte das gleichmäßige Atmen Ruths. Aber plötzlich, nach vielleicht einer Minute, drängte sie sich an ihn. Sie war auf einmal wie von Sinnen, grub ihre Finger in seine Arme, fing an zu schluchzen und zu wimmern und ihn mit nassen Küssen zu bedecken. Es war eins, das Schluchzen, Wimmern, Nässen, Küssen. Es richtete ihm sein Glied auf. Er registrierte das mit ungefähr der Zufriedenheit, mit der ein Gärtner nach dem Regen auf seine gedeihenden Pflanzen schaut. Ruth versuchte ungelenk, ihm die Schlafanzughose herunterzuziehen, scheiterte aber, da half er ihr. Es lag ihm auf der Zunge zu sagen, »so, na, siehst du«, aber er verkniff es sich. Ruth saß nun kerzengerade auf ihm und stemmte sich unstet auf und nieder. Er bemühte sich, ihren verzweifelten hackigen Rhythmus aufzunehmen, aber es gelang ihm nicht, sie bewegten sich ineinander vorbei. Und schon zog sich die Flut, irgendeine Flut, die in Ruth gewesen war, wieder zurück, sie konnten es beide verfolgen, ein paar Sekunden, und es wurde ganz trocken zwischen ihnen und begann weh zu tun, und Ruth rutschte stumm und ausdruckslos von ihm herunter wie eine Robbe von einem Stein.
*
Am nächsten Morgen verzichtete Willy auf seinen Rundgang und bat statt dessen Dorle Perl, Dietrich Kluge zu ihm zu beordern. Keine fünf Minuten später stand Kluge in der Tür. Jedoch war er nicht allein, er hatte noch einen Kollegen und eine Kollegin an seiner Seite, den Zweiten Drucker Michael Höft, den Willy im Grunde nur vom Sehen kannte, da Höft sich bei seinen Rundgängen immer abseits gehalten und, wie Willy schien, alles mit einer skeptischen und auch spöttischen Miene beobachtet hatte, sowie Silke Irmscher aus der Binderei, eine vielleicht 30jährige mit Pferdeschwanz und jeder Menge Energie.
Willy zog die Augenbrauen zusammen. Er sah das Vertraute schwinden, das im Raum gewesen wäre, wenn er allein mit Dietrich Kluge hätte reden können – aber bitte, sagte er sich sogleich, meine Entscheidung ist sowieso gefallen, verhalten wir uns also hochoffiziell.
»Die Kollegen haben beschlossen, eine Abordnung zu schicken«, sagte Dietrich Kluge, wobei er mit der Hand auf die schräg hinter ihm stehenden Höft und Irmscher wies.
»Das sehe ich.« Auch Willy machte eine Handbwegung, zum Sitzungstisch hin. Alle nahmen dort Platz. »Bleibt ihr bei eurer Forderung, oder habt ihr es euch nochmal anders überlegt?« Er fragte es, obwohl er wußte, worauf das Erscheinen einer ganzen Abordnung hindeutete, auf ein
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