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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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die Tür. Er wandte mit einiger Verzögerung den Kopf, als sei das Klopfen von weit hergekommen und habe Zeit gebraucht, in seine Ohren zu dringen.
    Sie blickten sich an. Ein paar Sekunden sagte keiner einen Ton. Dann stieß Ruth hervor: »Was ist mit dir?«
    Es war die erste Frage, die sie seit der Abreise der Kinder nach den Weihnachtstagen an ihn gerichtet hatte, aber er war ihr nicht dankbar dafür, im Gegenteil, die Frage machte ihm auf einmal deutlich, wieviel Aufwand er in den letzten Wochen betrieben und wieviel Kraft er hier in seinen eigenen vier Wänden gelassen hatte. Er fühlte Zorn in sich hochsteigen, bezähmte sich aber, er schüttelte den Kopf und sagte: »Gar nichts ist, gar nichts.«
    »Aber ich sehe es dir an«, sagte Ruth.
    Willy schnaufte.
    »Morgen ist Dienstag, bist du – vielleicht deswegen so?«
    »Wie bin ich denn? Und was hat das mit Dienstag zu tun, wie ich bin?« Willy starrte sie verständnislos an, dazu war er imstande, obwohl er genau wußte, worauf sie hinauswollte.
    »Der Dienstag«, sagte Ruth anklagend, »ist dein Fortgehtag.«
    Willy verzerrte plötzlich sein Gesicht. Er formte seine Hände zu Krallen, hielt sie sich in knappem Abstand vor das Gesicht, versetzte sie in ein Zittern.
    »Du kannst ruhig fahren, falls du das überlegst, fahr ruhig«, sagte Ruth in schneidendem Ton.
    »Herrgottnochmal, das ist doch überhaupt nicht das Thema«, schrie Willy, »hör doch endlich auf damit, ich kann es nicht mehr hören!« Er stampfte wie ein Berserker mit den Füßen.
    »Ich weiß, daß du es nicht mehr hören kannst!« Auch Ruths Gesicht war nun zu einer Grimasse verzerrt.
    Willy sprang auf. Dann machte er mit den flachen Händen eine dämpfende Bewegung und sagte gezwungen ruhig: »Ruth, bitte: Ich bin seit Wochen nicht in Berlin gewesen, und ich werde auch morgen nicht hinfahren. Auch morgen nicht. Ich bleibe hier. Aber ich muß mal raus jetzt, ich gehe nicht weg, ich gehe nur zu Achim, ich muß frische Luft schnappen und mir über etwas klarwerden, was nicht dich oder uns betrifft, hörst du, nicht uns, und vielleicht kann er mir dabei helfen. Also …« Und schon lief er an Ruth vorbei und riß seinen Mantel vom Bügel, schon knallte er die Tür ins Schloß.
    Willy ging die zwei Kilometer zum Bahnwärterhäuschchen zu Fuß. Er hatte Achim an diesem Abend gar nicht aufsuchen wollen, aber nun war es so gekommen, daß er zu ihm hinlief oder genaugenommen flüchtete, und solange er lief, faßte er keinen klaren Gedanken, er bemühte sich auch gar nicht darum, sondern hoffte, das nun folgende Gespräch würde ihn automatisch auf den rechten Weg führen.
    Er bekam die zwei lichtgelben Fenster des Bahnwärterhäuschens ins Blickfeld. Hinter der einen Scheibe befand sich ein regloser schwarzer Kreis, der gesenkte Kopf seines Freundes, der, Lirum larum Löffelstiel, arme Leute ham nicht viel, wohl gerade wieder Buchstaben aufsog, die Suppe, mit der Achim sich nährte und am Leben erhielt. Willy trat näher, aber plötzlich, und jetzt erst, fiel ihm ein, er durfte Achim ja gar nicht konsultieren – nicht heute, denn sein Problem betraf doch genauso Jonas. Hatte Achim nicht gesagt, er unterstütze jeden Krach, den sein Sohn veranstalte? Allein deswegen würde er sich auf die Seite der Drucker schlagen. Weil sie jetzt Tamtam machten, und weil Jonas mittendrin steckte. Nein, Achim war nicht frei in seinem Denken heute, er war leider der falsche Mann in dieser komplizierten Situation.
    Willy blieb in fünfzehn oder zwanzig Metern Abstand vom Fenster stehen, schaute noch einige Sekunden mit Bedauern hinein und stapfte endlich zurück in Richtung Gerberstedt. Nun war er gezwungen, sich allein Gedanken zu machen, womit fing er an? Mit Zeiller …
    Wenn ich Zeiller über die Forderung meiner Leute informiere, werde ich von ihm abberufen, und das will ich lieber vermeiden, das muß nicht sein. Aber bitte, ich brauche Zeiller ja auch gar nicht anzurufen, es ist sowieso kein Geld vorhanden für die Drucker, oder sagen wir so, es ist keines für sie vorgesehen, ich kenne die Realität. Und noch etwas, noch etwas, es ist ja beileibe nicht nur die Realität, die ausschlaggebend ist. Meines Erachtens wird sie oftmals sogar überschätzt. Diese dauernden Hinweise auf die Realität sind doch in Wahrheit nur Ausreden, sich um eine eigene Haltung herumzumogeln. Haltung, meine Haltung ist entscheidend, und deshalb … und deshalb sollte ich mir die Frage beantworten, ob ich, wenn ich könnte, ein Fünftel in

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