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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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das helle Licht des Vormittags fiel. Linkerhand befanden sich mehrere schwarze Eisentüren, hinter denen die Zellen lagen. Die Türen hatten die üblichen Gucklöcher sowie die ebenso gebräuchlichen Eisenklappen fürs Durchschieben des Essens. Vor jeder Tür aber, und das war ungewöhnlich, hing an der Decke ein runder eiserner Kerzenhalter, dessen Durchmesser vielleicht einen Meter betragen mochte und der mit zwölf spitzen, nach innen gebogenen Lanzen bestückt war, die nicht nach oben, sondern nach unten zeigten. Ich schaute fragend zu Vestis, und er erklärte mir: »Alle diese Leuchter erfüllen die Funktion von gefährlichen, wenn nicht todbringenden Käfigen. Sie können, sollte tatsächlich einmal einem Gefangenen der Ausbruch aus seiner Zelle gelingen, was bisher nicht geschehen ist, im Zehntel einer Sekunde heruntergelassen werden und den Flüchtigen einschließen. Der Flurwärter dort hinten muß nur einen unter seinem Tisch angebrachten Hebel bedienen. Sämtliche Leuchter fallen dann mit einem Schlag nieder. Wie Sie sehen, Herr Magister, sind die Eisenteile, schon aufgrund ihres beträchtlichen Gewichts, zudem geeignet, den Flüchtling der Länge nach aufzuschlitzen, schlimmstenfalls in zwölf Teile.« Mich schauderte; und mich schauderte auch, weil Vestis auf einmal kalt und unpersönlich gesprochen hatte. Mir schien, als wäre bei seinem Eintritt in das Gebäude aus dem mitfühlenden Menschen ein hartherziger Wächter geworden. Dann aber bemerkte ich, wie der Diensthabene am Tisch ihn musterte, und ich begriff, Vestis tat nur so, als rührten ihn die von der Decke baumelnden Waffen nicht. Hatte er nicht auch ›schlimmstenfalls in zwölf Teile‹ gesagt? Das war, wenn man recht darüber nachdachte, ein unbewußtes Parteiergreifen für die Gefangenen gewesen, denn ein gefühlloser Vestis hätte doch ein ›günstigstenfalls‹ oder etwas ähnlich Verächtliches ausstoßen müssen.
    Ich bat ihn, mich nun in Antonios Zelle zu führen. Vestis bedeutete mir mit einem Handzeichen, sie befinde sich am hinteren Ende des Ganges. Während wir diesen entlangliefen, duckte ich mich unwillkürlich vor jeder Tür, da ich argwöhnte, einer der Leuchter würde herunterrasseln und mich töten: Konnte der Vasall dort an seinem Tisch, unwillentlich oder auch willentlich, nicht den Hebel nur durch eine Bewegung seines Knies umlegen? Ich war außerstande, mich von diesem Gedanken zu lösen, doch in meinem Innersten wußte ich, daß ich mich nicht von ihm lösen wollte und mich sogar an ihn klammerte, und dies einzig und allein, um mir nicht vorstellen zu müssen, wie Antonio, vor den ich in wenigen Sekunden treten würde, wohl aussah und wie er sich verhielt. Zu oft hatte ich es mir schon vorzustellen versucht. Und nie konnte ich dabei das Profil Antonios vergessen, das seine Eltern in ihrem naiven Überschwang kurz vor ihrer Ermordung und seiner Einkerkerung auf Hunderttausende Münzen hatten prägen lassen. Antonio war damals knapp drei Jahre alt gewesen. Seine Stirn stand beinahe so weit vor wie seine noch babyhaft breite und kurze Nase, seine Lippen waren geschürzt, seine Haare gelockt. Er bot das Bild eines behüteten und ein wenig trotzigen Kleinkindes. Der Oberste hatte alle diese Münzen aus dem Verkehr gezogen, indem er die Bevölkerung aufforderte, sie auf Sammelplätzen abzuliefern. Sodann ließ er sie coram publico einschmelzen. Die dabei entstandene Hitze habe, so erzählte man sich, bei nicht wenigen am Feuer stehenden und von der nachdrängenden Masse immer noch näher dort hingeschobenen Zuschauern zu grauenvollen Verbrennungen geführt. Aus dem geschmolzenen Gold aber wurde für jeden Beamten des Reiches ein Ring geschmiedet. Der Oberste deklarierte dies als großzügiges Geschenk. Tatsächlich handelte es sich auch hierbei um einen Befehl zur Unterwerfung, erhielten doch die Beamten die Anweisung, ihren Ring Tag und Nacht zu tragen und diesem bei Strafe ihrer Verbannung keinen weiteren hinzuzufügen. So stach er immer hervor, so wurde die Gabe für viele, die dem Obersten dienten, ohne mit ihm in Gedanken konform zu gehen, zu einem Brandmal, zu einem Zeichen ihrer Käuflichkeit, zu einem Ausweis, der sie an ihre eigene Jämmerlichkeit erinnerte und diese immer weiter verstärkte. Was nun mich selber angeht, so lieferte ich meine Münze nicht wie verlangt ab. Ich glaubte, das Antonio und seiner Familie schuldig zu sein. Ich behauptete, keine solche Münze zu besitzen. Es folgte, da man gerade mir

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