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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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War aber mit dem Inhalt überhaupt nicht einverstanden. Lange schon hatte er den Gesprächen hier scheinbar unbeteiligt zugehört, zunächst der alten Felgentreu, die ja wohl nur darauf aus gewesen war, ihn zu provozieren, nun diesen beiden, lange hatte er sich starren Gesichts und unbewegten Auges zurückgehalten. Und wie eine Eule, die ewig auf einer Astgabelung hockt, ohne sich zu rühren, so war auch er in diesem Gewölbe in der »Sonne« irgendwann nicht mehr beachtet worden und in Vergessenheit geraten. Jetzt brachte er sich schlagartig zurück in Erinnerung: »Es reicht, Herrschaften, es reicht! In der Zeitung war eine Trauerfeier annonciert, aber Sie, Sie haben scheinbar nichts Besseres zu tun, als alles, was in dieser Republik geschieht, in den Dreck zu ziehen!«
    Bernhard meinte sich zu erinnern, schon beim Eintreten von diesem Mann einen Zwischenruf vernommen zu haben; er spürte, wie sein Ärger wieder hochkochte, jener Ärger, der in den letzten Minuten von einer dünnen Mixtur aus Heimatgefühlen und Kindheitserinnerungen bedeckt gewesen war. »Was mischen Sie sich denn ein? Was wollen Sie überhaupt?«
    Herbert Rabe beugte sich vor, über seinen Teller hinweg, den er bis auf die letzte Kloßkrume und die letzte Soßenschliere geleert hatte, und hob zu einer Erklärung an, aber Bernhard war noch nicht fertig, Bernhard war, zumal nach Achims traurigen Bemerkungen, richtig wütend: »Nicht in den Dreck ziehen, sagen Sie? Als ob der nicht überall wäre, gehen Sie nur raus, ja gehen Sie doch raus, da können Sie …«
    »Sie wollen mich meines Platzes verweisen? Das überlegen Sie sich aber gut!«
    Bernhard schob seinen Teller so ungestüm beiseite, daß sich das Tischtuch zu einem kleinen Faltengebirge formte. »Wer sind Sie eigentlich, daß Sie mir hier drohen, auf einer Feier meiner Familie – zu der Sie ja wohl nicht gehören, oder irre ich mich da?«
    Achim starrte an die Decke, Heiner Jagielka ließ, in Vorfreude dessen, was sich seinem untrüglichen Gespür zufolge noch ereignen würde, ein »ui-ui-ui« ertönen und schenkte sich eine weitere »Goldkrone« ein.
    »Vor dir sitzt Herbert Rabe«, sagte da eine verlegene Stimme hinter Bernhard. Es war die seines Bruders. Unbemerkt von ihm war Willy herbeigeeilt, seinen Stuhl hinter sich herschleifend. Willy stellte ihn zwischen Bernhard und Herbert Rabe ab, stand jetzt seinem eigentlichen Platz an der vorderen Stirnseite des Tisches gegenüber. Alle Blicke richteten sich auf ihn und die Männer zu seinen Seiten, sogar jene von Britta und Jonas, die doch bislang nur dem jeweils anderen gegolten hatten, um so unverhohlener, je mehr Zeit vergangen war.
    Bernhard starrte Herbert Rabe entsetzt an. Behielt ihn im Auge, drehte aber seinen Kopf halb zu Willy, fragte den, noch immer perplex: »Das ist Rabe?«
    Willy nickte, er schien peinlich berührt zu sein.
    Bernhard kniff die Augen zusammen: »Und Sie schämen sich nicht, hier aufzutauchen?« Einen Moment später ärgerte er sich über seine einfallslosen und, wie ihm schien, schwammigen Worte.
    »Wofür sollte ich mich schämen, junger Mann?« Rabe klappte seine Lider herunter, so daß er nur noch durch einen schmalen Schlitz auf sein Gegenüber schaute.
    Willy setzte sich leise. Man hörte ein Schlucken Jagielkas, man sah, dessen Hand mit dem Schnapsglas verharrte in der Luft.
    »Sie haben damals meinen Vater verjagt – verjagt. Es gab eine Zeit, da haben Sie sich die Macht mit ihm geteilt. Aber das gefiel Ihnen nicht, denn er war Ihnen zu widerspenstig. Nur: Ich wage die Behauptung, auch wenn er gar nicht widerspenstig gewesen wäre, hätten Sie ihn weggejagt. Weil er kein Kommunist war. Weil Ihre Partei die Macht nicht teilen wollte. Und da haben Sie in Ihrer Gewissenlosigkeit Sachen erfunden. Wie lächerlich das mit den faulen Eiern war. So eine hinterhältige Begründung. Dafür sollten Sie sich schämen. Und dafür, daß Sie heute hier sind. Sie verhöhnen mit Ihrer Anwesenheit den Mann, den sie damals haben über die Klinge springen lassen.« Bernhard schien zu Ende gesprochen zu haben, brachte aber, wie eine Lokomotive, die nach einer Serie von Dampfstößen, und einer kurzen Pause, einen letzten Ton in die Luft jagt, noch etwas hervor: »Warum sind Sie hier? Beantworten Sie mir die Frage! Woher nehmen Sie die Frechheit, hier zu erscheinen?«
    Rabe nickte scheinbar beifällig, ganz wie einer, der genau das gehört hat, was zu erwarten gewesen war. Er besaß sogar noch die Chuzpe, seine Blicke

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