Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
Vom Netzwerk:
über die Runde schweifen zu lassen. Dann faltete er die Hände über dem Bauch und erwiderte: »Eins nach dem anderen, junger Mann. Es ist keine Frechheit, daß ich hier bin, nein, der Verstorbene und ich, wir waren Kampfgefährten …«
    Bernhard lachte schrill.
    »… auch wenn Ihnen das nicht gefällt, junger Mann, Kampfgefährten …«
    »… Sie verbiegen die Geschichte …«
    »Ach, seien Sie doch still! Ich kenne die versteckte Kammer bei Ihnen zu Hause, junger Mann, und Ihr Vater kannte das Schlupfloch bei mir. Wir haben einander nicht verraten. Sie wissen doch überhaupt nicht, wovon Sie reden, wenn Sie sagen, ich hätte Rudolf Werchow über die Klinge springen lassen. Ich habe es nicht getan. Wir waren Gefährten, ob Sie das nun hören wollen oder nicht.«
    »Danach haben Sie ihn verraten, danach«, rief Bernhard aufgebracht.
    »Irrtum! Ich habe getan, was ich tun mußte. Nichts Schlechtes über einen Toten, heißt es ja, und doch gebietet die Ehrlichkeit, Ihnen jetzt zu sagen: Ihr Vater hat sich von uns entfernt. Er hat dem Klassenfeind in die Hände gespielt, indem er unbedingt öffentlich machen mußte, daß der Genosse Ulbricht mit faulen Eiern beworfen worden ist.«
    »Das ist doch an den Haaren herbeigezogen«, rief Bernhard. »Was hat denn der Klassenfeind davon, wenn er das erfährt? Wer ist überhaupt Ihr sogenannter Klassenfeind? Ich vielleicht? Bin ich es?« Er klopfte sich mehrmals auf die Brust, aber in diesen Sekunden schwieg Herbert Rabe.
    »Der Raubtierbändiger verläßt nie seinen Käfig«, warf Clara Felgentreu, ihre Augen ruhig geradeaus gerichtet, kryptisch ein. Verstand jemand, was sie hatte sagen wollen? Ihr Sohn Achim. So ist es, dachte er, Rabe und seine Leute haben nie umschalten, haben nie Dompteurstab und Peitsche beiseite legen können, immer wachsam, immer mißtrauisch, immer allen, die ihnen zu nahe kamen, auf die Pfoten schlagend, denn das war ihnen in Fleisch und Blut übergegangen, das hat sie einst überleben lassen.
    »Außerdem«, setzte Herbert Rabe fort, als wäre da keine Frage und kein Zwischenruf gewesen, »hatten wir, leider, muß ich sagen, berechtigte Gründe anzunehmen, daß Rudolf Werchow selber zu den Eierwerfern gehörte.« Er schaute herausfordernd in die Runde.
    »Wie kommst du denn darauf«, fragte Willy verblüfft. Bernhard schüttelte entnervt den Kopf.
    Rabe zog einen zusammengefalteten, vergilbten Bogen Durchschlagpapier aus seinem Jackett, er mußte geahnt haben, daß er den brauchen würde, alles, was hier geschah, mußte von ihm zuvor schon in Gedanken durchgespielt worden sein, er faltete das Papier auseinander und fragte Willy: »Weißt du, was das ist? … Nun, das ist der Bericht, den euer Vater damals für die Thüringer Landesleitung unserer Partei angefertigt hat. Ich darf ihn kurz verlesen, er ist datiert vom … Moment … vom 19. März 1947: Liebe Genossen! Gern komme ich Eurer Bitte nach, Euch in Vorbereitung des Besuches des Genossen Walter Ulbricht in unserer Stadt darüber zu unterrichten, inwiefern es Beziehungen des Genossen Ulbricht zu Gerberstedt aus vorsozialistischer Zeit gibt. Ich habe dazu alte Zeitungsberichte durchgesehen und mit mehreren Zeitzeugen gesprochen. Auch schöpfe ich aus eigenen Erinnerungen. Ich kann Euch nun mitteilen, daß der Genosse Ulbricht einmal nachweislich in Gerberstedt geweilt hat. Dies war am 3.3.1932. Dabei handelte es sich um eine Wahlkampfveranstaltung der KPD auf dem Marktplatz. Sie begann um 19 Uhr. Die Zahl der Zuhörer betrug nach Angaben der Polizei 150. Die Rede des Genossen Ulbricht dauerte circa 45 Minuten. Sie wurde mehrmals von Beifall unterbrochen. Allerdings erfolgten auch wiederholt lautstarke Buhrufe. Als der Genosse Ulbricht das Wort direkt an die Störer richtete, bewarfen sie ihn mit Eiern, die sie in Körben mitgeführt hatten, welche in der Dunkelheit nicht sichtbar gewesen waren. Der Genosse Ulbricht stand erhöht auf einem erleuchteten Planwagen und bot somit eine hervorragende Angriffsfläche. Nachdem er von zwei Eiern getroffen worden war, unterbrach er seine Rede, um sich zu säubern, setzte diese aber nach kurzer Zeit fort. Im weiteren Verlauf gab es dann keine Zwischenfälle mehr. Nach der Veranstaltung reiste der Genosse Ulbricht umgehend nach Gotha, wo für ihn eine weitere Veranstaltung auf dem Programm stand. Darüber hinaus kam es zu einem zweiten Besuch des Genossen Ulbricht in Gerberstedt, der allerdings nicht hundertprozentig verbürgt ist. Demnach nahm er im

Weitere Kostenlose Bücher