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Brüder und Schwestern

Brüder und Schwestern

Titel: Brüder und Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Meinhardt
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April 1933, also bereits in der Zeit der Illegalität, Quartier im Gasthof ›Zur Sonne‹. Es darf vermutet werden, daß er sich auf dem Weg zu einem konspirativen Treffen befand. Leider war es mir nicht möglich, herauszufinden, in welcher Nacht das geschah. Ich hoffe, Euch mit diesen Angaben weitergeholfen zu haben, und verbleibe mit kämpferischem Gruß – R. Werchow.« Triumphierend faltete Rabe das Schreiben wieder zusammen.
    »Ja und?« fragten die beiden Brüder einstimmig. Sie wußten wirklich nicht, worauf er hinauswollte.
    »Die Wortwahl«, rief Rabe, ärgerlich darüber, daß man ihn nicht verstehen wollte, »an der Wortwahl ist doch wohl eindeutig erkennbar, auf welcher Seite Rudolf Werchow stand, und zwar, meine Herrschaften, noch stand, als er diesen Bericht hier, dieses Pamphlet«, Rabe wedelte damit, schlug mit dem Handrücken darauf, »verfaßte. Erstens: Woher konnte er wissen, daß die Randalierer ihre Eier in Körben mitgeführt hatten, wenn doch rundherum Dunkelheit herrschte? Nun, kein Zweifel, er konnte es nur wissen, weil er damals selber beteiligt gewesen und mit genau so einem Korb gekommen war. Und zweitens: Wenn er von ›hervorragender Angriffsfläche‹ schreibt, so entlarvt er sich doch wohl endgültig. Er nimmt damit noch einmal die Perspektive des Werfers ein, und mehr als das – er erfreut sich dieser sogar.«
    Willy streckte den Arm nach dem Papier aus, überflog es, sagte, darauf tippend: »Aber hier, hier steht doch, daß er das Geschehen recherchiert hat. Alles andere ist Unterstellung. Nur Unterstellung.«
    »Für den, der sehen will, ist es sicher«, beharrte Rabe.
    »Sicher«, erklärte Clara Felgentreu, »ist nur der Tod, Herr Parteisekretär.«
    Bernhard schaltete sich ein, der eine Weile geschwiegen, der sich bezähmt hatte, wie man jetzt sah, da er das nicht mehr vermochte und es aus ihm herausbrach: »Ja und? Selbst wenn er die Eier geworfen hat, was ist denn dann? Dann hat er eben den Spitzbart getroffen, bravo, schön. Dann werde ich noch stolzer sein auf Rudolf Werchow, gewiß, noch stolzer. Wo sind wir hier eigentlich«, rief er, sich im Gewölbe umschauend, »wieso lassen wir uns bieten, daß der da«, er zeigte auf Rabe, »unseren Vater verleumdet und beschmutzt?«
    Ruth stand auf, sie hatte noch, oder schon wieder, feuchte Augen, schwebte wie ein Gespenst auf ihren Schwager zu, küßte ihn auf die Wange und schwebte wieder zurück. Das ging so schnell, daß mancher danach dachte, er habe es nur geträumt.
    Herbert Rabe spürte wohl, daß Bernhard dabei war, die Runde gegen ihn aufzuwiegeln, und so versuchte er, ihn an der empfindlichsten Stelle zu treffen: »Plustern Sie sich nicht so auf! Sie haben es ja nicht einmal geschafft, Ihren Vater anständig unter die Erde zu bringen. Sie sind mir ein toller Sohn. Aus Bayern kommen, zu spät und aus Bayern, und uns Vorschriften machen wollen.«
    Bernhard sprang auf, wollte er Rabe an die Gurgel? Willy hielt ihn zurück, drückte ihn wieder auf seinen Stuhl.
    »Schmeiß ihn raus«, forderte Bernhard, denn Willy war der Gastgeber, Willy war es, der handeln mußte.
    Willy stand unschlüssig. Er hoffte, Rabe werde von sich aus gehen, aber der tat den Teufel, der blieb wie angewurzelt sitzen.
    »Schmeiß ihn raus«, forderte Bernhard abermals, nun mit unheilvollem Unterton.
    Als Willy wieder nicht reagierte, stand er langsam auf und sagte mit zorniger, zugleich verächtlicher, zugleich pathetischer Stimme: »Dann bin ich es, der hier nicht länger bleiben kann.« Er schob sich an seinem Bruder vorbei, Brust, die an Brust schliff, schaute in ein hilfloses, erschrockenes Gesicht, gewann an Tempo, stürmte den Tisch entlang, war schon am Gewölbeausgang, machte auf dem Absatz kehrt, umarmte von hinten Ruth, wühlte seinen heißen Kopf in ihre Halsbeuge, riß sich los, nickte flüchtig den anderen zu, stürzte zum Auto, gab Gas, daß der Motor seines BMW aufheulte und die Reifen auf dem nassen Kopfsteinpflaster des Marktplatzes durchdrehten; als er die Autobahn erreichte, nein, eher schon, wollte er zurück, doch immer weiter fuhr er, er hatte nicht einmal das Grab Rudis gesehen, aber er konnte nicht umkehren, er trat wütend aufs Pedal, gab um so stürmischer Gas, je mehr er zurück wollte, er sah schon den Betonpenis, aus dessen glasiger Eichel die Grenzer spähten, naßfleckig ragte der auf.
    *
    Euer Streit ist mein Vergnügen, sagte sich die Kellnerin und brachte mit höhnischem Gesichtsausdruck das Kompott. Ruth, Erik und

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